Nach wie vor kommt Diesel direkt oder indirekt aus Russland in die EU

Sanktionen verbieten den Import von russischem Öl und Diesel nach Europa. Doch über neue Handelswege gelangt Energie aus Russland weiter im großen Stil in den Westen, wie das Nachrichtenportal The Pioneer anhand exklusiver Handelsdaten nachwies. Diesel ist der wichtigste Kraftstoff Deutschlands. Sein Anteil am Treibstoffverbrauch liegt bei über 60 Prozent. 32 Millionen Tonnen Diesel verbraucht die Bundesrepublik im Jahr. Alle Lastwagen fahren fast ausschließlich mit Diesel, ein Drittel der deutschen PKWs muss mit Diesel betankt werden und ein Viertel der deutschen Haushalte bezieht seine Wärme über Heizöl, das steuerlich begünstigter Diesel ist.

In der Vergangenheit hielt Russland den deutschen Dieselmotor wie The Pioneer berichtete, am Laufen. Russischer Diesel machte 40 Prozent der gesamten deutschen Dieselimporte aus. Rund fünf Millionen Tonnen wurden 2022 importiert. Die gesamte europäische Union bekam 18 Millionen Tonnen russischen Diesel. Seit Februar 2023 sehen die Sanktionen der europäischen Union vor, dass kein russischer Diesel mehr importiert wird. Was vorher über Pipelines nach Deutschland geliefert wurde, muss nun über Frachtschiffe nach Deutschland kommen. Allerdings sind die Dieselströme aus Russland nicht versiegt.

Der Weg führt über Indien und die Türkei. Beide Länder sind nicht an die EU-Sanktionen gebunden und dürfen mit Russland Handel betreiben. Indien macht dabei zweierlei Geschäfte, so das Institut für Weltwirtschaft aus Kiel. „Das Land bekommt günstiges russisches Öl und braucht das etwas teurere arabische Öl nicht mehr zu kaufen. Dieses wird dann frei für die Europäer und zum zweiten produziert Indien mit diesem russischen Rohöl Produkte wie Diesel und verkauft diesen an die Europäer.“ Die Sanktionsvorschriften verbieten nur die direkte Einfuhr von russischem Öl und raffinierten Produkten. Hingegen ist es legal, Diesel oder Benzin zu 100 Prozent aus russischem Rohöl-Ursprung nach Europa einzuführen, solange die Ware in einem Drittland raffiniert wurde.

Dieselexporte zeigen, dass die wichtigsten Umschlagsplätze für diese Produkte die Häfen an der Nordsee, in den Niederlanden und Belgien sind. Von dort kommt die Ware nach Deutschland. Die durchschnittlichen indischen Exporte von Diesel pro Tag haben sich um 700 Prozent erhöht. Waren im Wert von 600 Millionen Euro wurden von Januar bis September des Jahres 2023 importiert. Die Mengen, die aus Russland fortfielen, kommen nun aus Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Katar und den USA. Vom Embargo gegen Russland profitiert vor allem das indische Ölunternehmen Reliance. Aber auch die russische Rosneft betreibt in Indien als Haupteigentümer die zweitgrößte Raffinerie des Landes. Russland hat alle möglichen Tanker aktiviert, um seinen in Russland produzierten Diesel zu exportieren, so The Pioneer.

Die Einfuhren von Dieselkraftstoff aus Russland in die Türkei sind in 2023 sprunghaft angestiegen und haben sich mehr als verdoppelt. Gleichzeitig exportiert die Türkei diese Mengen nach Europa an die Umschlagsplätze in den Niederlanden und Belgien, wo sich ebenfalls ein starker Zuwachs der Dieselimporte gegenüber dem Vorjahr zeigt. Wie der Pioneer schlussfolgert: „Der russische Diesel, der in die Türkei geliefert wird, setzt Dieselbestände frei, die in den türkischen Raffinerien produziert wurden. Diese türkische Ware wird nun an Russlands frühere Abnehmer in Europa mit Aufpreis exportiert, während die Türkei den preiswerten russischen Diesel selbst nutzt.“

Russland sollte durch das Embargo nie am Absatz von Rohöl und Diesel auf dem Weltmarkt gehindert werden, sagte das Bundeswirtschaftsministerium zu The Pioneer. „Durch den Ölpreisdeckel wurde Anreiz geschaffen, dass Russland sein Öl weiterhin am Weltmarkt anbietet, um die globalen Energiemärkte stabil zu halten, ohne in vollem Umfang von den Einnahmen zu profitieren.“ Mit dem Ölpreisdeckel untersagen die G7 Staaten und Europa den westlichen Unternehmen Schiffstransporte von russischem Öl für Drittstaaten zu betreiben und zu versichern, wenn das Öl zu einem höheren Preis als 60 Dollar je Fass verkauft wird. In den Augen der Bundesregierung hat die Maßnahme Erfolg. Russland habe seine Exporte nur geringfügig reduziert, während die Einnahmen des Staates aus dem Ölexport von Januar bis Oktober 2023 um 36 Prozent unter den Vorjahreswerten lagen.

Neue Daten zeigen aber auch, so The Pioneer, dass der Ölpreisdeckel an seine Grenzen kommt. Die Preise, die für russisches Rohöl an den russischen Exporthäfen gezahlt werden, liegen deutlich über dem Preisdeckel, mitunter bei 80 Dollar und mehr pro Barrel. Russland produziert zehn Prozent des Weltölbedarfs. An den Rohstoffmärkten haben relativ geringe Produktionsausfälle schnell große Preiswirkungen. Aus diesem Grund hat die Versorgung der Märkte Priorität. Die Preise würden so stark steigen, wie wir es zu Beginn des Ukraine-Krieges im März 2022 annähernd erlebten, als kurzfristig die Sorge bestand, dass es einen kompletten Bann russischen Öls geben könnte. Der Ölpreis lag bei 140 Dollar und es gab damals Prognosen, dass er auf 200 Dollar steigen könnte. Die Spitze bei den Ölpreisen war ein starker Treiber für den Inflationsschub.

Die Märkte haben sich mittlerweile umorganisiert und die Ölversorgung ist weltweit wieder sichergestellt. Die Preisverwerfungen, die wir teilweise in 2022 und Anfang 2023 – insbesondere bei den Fertigprodukten für Diesel – sahen, sind weitestgehend verschwunden. Die Raffineriemargen sanken und damit auch die Preise für Diesel an der Zapfsäule. Der Diesel, der in Europa zirkuliert, kommt, wie The Pioneer als Fazit zog, weiterhin größtenteils aus Russland, nur über Zwischenhändler.