Handelblattsymposium zu Nutzfahrzeugen – am Ende keine Antworten
Das Handelsblatt veranstaltete eine Nutzfahrzeugtagung und erörterte das Thema, wie es im Lkw-Sektor mit dem E-Antrieb weitergeht. Zur Erinnerung: Daimler entwickelte vor rund 100 Jahren den ersten Diesellastwagen, der in seiner Effizienz dem Benzinmotor um fast 100 Prozent überlegen war und damit seinen Durchbruch im Nutzfahrzeugsektor feierte.
Die Politik zwingt die großen Hersteller, wie Daimler, Traton (Scania, MAN), der zum VW-Konzern gehört, sowie Paccar (DAF), Volvo Truck und CNH Industrial (Iveco) mit strengen CO2-Vorgaben zu einer Antriebswende. In Europa muss die Automobilindustrie den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid bei schweren Lastwagen bis Ende der Dekade um fast ein Drittel im Vergleich zum aktuellen Niveau senken. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission aktuell neuere, schärfere Vorschriften zum 14. Juli 2021 beschließen will. Der VDA äußerte sich kritisch zu den bisherigen Zahlen, die in Brüssel auf den Fluren gehandelt werden. „Da geistern Zahlen durch die Gegend, die sind mehr als ambitioniert“, so Hildegard Müller, die Chefin des Verbandes der Automobilindustrie. Bereits das ursprünglich anvisierte Ziel, den CO2-Ausstoß von Lkws über 16 Tonnen bis 2025 um 15 Prozent zu senken, würde laut VDA „den Bogen überspannen.“ Allerdings rechnet die Branche mit noch härteren Zielen als der geplanten CO2-Reduktion von 30 Prozent bis 2030. Ein Ziel von 15 Prozent CO2-Ausstoßreduktion bei den Lkw, bedeutet für die Hersteller, dass im Jahr 2025 10 Prozent aller Neuzulassungen an Lkw in der EU elektrisch sein müssten. Bei 30 Prozent in 2030 müssten schon 25 Prozent der Lkw-Neuzulassungen vollelektrisch sein. Auch an dieser Stelle merkt der VDA kritisch an: „Es ist nicht damit getan, dass nur die Fahrzeuge angeboten werden. Wir müssen auch die Fragen klären, wie die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird und mit welchem Strom die Nutzfahrzeuge am Ende geladen werden“, so Müller im Handelsblatt. Die Lkw-Industrie investiert daher gewaltige Summen, um die drohenden Milliarden an Strafen seitens der EU bei einer Zielverfehlung zu vermeiden.
So übertreffen sich zurzeit auch die Hersteller mit ihren Ankündigungen. Traton (VW) und Volvo Truck wollen bereits 2030 jeden zweiten neuverkauften Lastwagen elektrifiziert haben. Daimler glaubt sogar, dass 60 Prozent seiner Neufahrzeuge bis Ende der Dekade mit einem elektrischen Antrieb verkauft werden. Daimler will noch in diesem Jahr den E-Actros mit 300 – 400 Kilometer Reichweite bei 20 Grad Celsius, ohne Klimaanlage und Heizung und mit 10 – 17 Tonnen Nutzlast als Zwei- und Drei-Achser an den Start bringen. 2024 soll ein 40 Tonnen E-Laster folgen. Daimler und VW wollen ihre Lkw Sparte in den nächsten Jahren abspalten und an die Börse bringen.
Laut Handelsblatt sind dies ambitionierte Ziele, denn Elektro-Trucks kosten in der Anschaffung 200.000 bis 300.000 Euro. Damit sind die Stromer aktuell im Schnitt doppelt bis dreifach so teuer wie Diesel-Lkw. Über geringere Betriebskosten und die Haltungsdauer relativiert sich der hohe Anschaffungspreis etwas, aber bis zur völligen Kostenparität wird es wohl noch 3 bis 5 Jahre dauern, so das Handelsblatt. Die wasserstoffbasierte Brennstoffzelle dürfte sich bei Trucks frühestens 2027 wirklich rechnen. Die Frage, ob bis dahin bezahlbarer grüner Wasserstoff überhaupt für den Straßenverkehr zur Verfügung steht, ist noch nicht zu beantworten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies nicht zu schaffen sein wird, da der grüne Wasserstoff anderen Branchen – siehe Chemie- und Stahlindustrie – vorerst vorbehalten sein soll. Volvo unterstrich auf dem Kongress, dass man die Entwicklung von Verbrennungsmotoren im Lkw-Sektor aufrechterhalten wird. Volvo verwies darauf, dass es in vielen Regionen der Welt noch viele Jahre dauern wird, bis eine Infrastruktur für Elektro- oder Wasserstoff-Trucks aufgebaut ist.
Theoretisch könnten Lkw an Pkw-Säulen laden, allerdings blockieren die Lkw aufgrund ihrer Länge mehrere Stellplätze. Aktuell werden die bestehenden Batterietrucks in den Betriebshöfen der Logistiker geladen. Der europäische Herstellerverband der Automobilindustrie ACEA fordert 10.000 bis 15.000 Ladepunkte bis 2025 und 40.000 bis 50.000 Ladepunkte für Lkw bis 2030 in Europa. Zudem werden 1.000 Wasserstofftankstellen für Lkw binnen der nächsten 9 Jahre in Europa eingefordert.
Der Iveco-Chef Gerrit Marx wies auf dem Handelsblattkongress auch auf folgendes Problem hin: „Wenn Sie heute versuchen einen Standort von Tank & Rast (Autobahntankstelle) mit 50 Powerchargern, mit jeweils 350 Kilowatt auszustatten, dann wird, wenn da 50 Laster dranhängen, relativ schnell in den Dörfern rundherum das Licht ausgehen. Die Infrastruktur in Deutschland und Europa ist schlichtweg noch nicht vorbereitet auf batterieelektrisches Laden in dieser Größenordnung“, erklärt Marx. Anzumerken bleibt, dass dieser Strom auch wieder grüner Strom sein muss, der keinen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Aus Sichten von Gerrit Marx reicht es nicht, einfach nur tausende Ladesäulen aufzustellen. Parallel muss auch das Stromnetz für Lastspitzen und ein hoher Anteil an erneuerbaren Energien ertüchtigt werden.
Bei den alternativen Antriebstechniken will Marx, neben der Batterie und der Brennstoffzelle, auch Biomethan als weitere Energieart nicht ausschließen. Marx weist dabei auf ein weiteres Problem hin: „Um batterieelektrische Lkw wieder ansatzweise vollzuladen, benötigen die Spediteure viel Geduld. Bei der heute gängigen Technik müssten die Logistiker gut zwei Stunden einplanen. Solche Standzeiten seien zwar auf kurzen Distanzen (abends auf dem Betriebshof) bewältigbar. Aber das ist nicht der Massenmarkt“, so Marx. Mehr als die Hälfte der in Europa neu zugelassenen Lkw seien schwere Sattelzugmaschinen, die vor allem im Fernverkehr zum Einsatz kommen. Hier brauche es die Brennstoffzelle oder – für ganz lange Distanzen über 1.500 Kilometer – auch Laster, die mit Gas betrieben werden. Diese LNG Tankstellen sind wiederum extrem teuer und komplex in der Handhabung.
Der Volkswagenkonzern sieht dies ganz anders. Traton (VW) setzt im Lkw-Geschäft voll auf Akkuantrieb. Traton argumentiert mit der Tatsache, dass Wasserstofftrucks drei Viertel der ursprünglich eingesetzten Energie im Laufe des Anwendungsprozesses wieder verlieren. Daimler Trucks und Volvo Trucks sehen dies nochmal anders und wollen ab 2025 gemeinsam Brennstoffzellen in großen Stückzahlen fertigen, denn diese seien leichter als Batterien, böten eine höhere Reichweite und hätten kürzere Ladezeiten.
Wer in dem Richtungsstreit der Branche am Ende recht hat, die Batterieverfechter oder die Fans von Wasserstoff, ist noch völlig offen. Es geht um viel Geld. Jeder Anbieter versucht daher für seine Überzeugung so viel Fördergeld wie möglich herauszuschlagen. Schließlich übernimmt der Staat – etwa in Deutschland – bis zu 80 Prozent der Mehrkosten von alternativ angetriebenen Trucks, zumindest im Moment noch, so das Handelsblatt.
Wie dieser Kongress zeigte, sind noch viele Probleme zu lösen bis alternative Antriebe mit dem vor 100 Jahren entwickelten und kontinuierlich verbesserten Dieselmotor für Lkw mithalten können. Hierzu noch ein paar Daten: Die Lebensleistung eines Lkw-Dieselmotors liegt bei ca. 800.000 Kilometern, je nach Einsatzart. Ein Lkw hat mit dem ersten Motor eine Lebensdauer von 8 bis 15 Jahren. Je nach Lade- bzw. Zuglast liegt der Verbrauch bei 20 bis 35 Liter pro 100 Kilometer. Der Verbrauch wurde in den letzten 30 Jahren um rund 40 Prozent gesenkt und weitere Effizienzgewinne sind möglich.
Einen Plug-in-Hybrid-Lkw, der über einen Elektro- und einen Dieselmotor verfügt, sehen viele Fachleute auch als eine interessante Alternative. Allerdings kann die EU-Kommission im Juli 2021 mit extremen CO2-Vorgaben dieser Technik ein Ende bereiten. Eine zu scharfe Absenkung führt zwangsweise zum Aus des Verbrenners auch in Kombination mit dem E-Motor.
Leider verkennen viele Politiker den wirklichen Blick auf das „Henne-Ei-Problem“. Wir brauchen nicht nur mehr Ladesäulen für elektrische Pkw und Lkw – und dies in ganz Europa – sondern wir brauchen als erstes zusätzliche Mengen an grünem Strom und dies mit einer hohen Stabilität des Stromnetzes.
Erst dann stellt sich die Frage nach der Anzahl der Ladesäulen und der zu ladenden E-Fahrzeuge, ob Pkw oder Lkw. Gleiches gilt für den grünen Wasserstoff, denn dieser muss auch erst einmal in ausreichenden Mengen zu bezahlbaren Preisen hergestellt werden, bevor er vertankt werden kann. So lange wir nur den CO2-Ausstoß am Auspuff als Maßstab sehen und die Art der Stromerzeugung ausblenden, bewegen wir uns, was den CO2-Ausstoß angeht, im Kreis.