Das Tempo ist vielen Kfz-Herstellern zu hoch
Im Juli 2021 wird die EU-Kommission mitteilen, wie sie es schaffen will, dass der Kontinent seine Klimaziele erreicht. Es wird ein dickes Paket aus zwölf Gesetzesvorschlägen erwartet, so berichtet das Handelsblatt. Bestehende Vorschriften sollen verschärft werden, darunter die Grenzwerte für die Menge an CO2, die Autos ausstoßen dürfen. Die Automobilhersteller warnen bereits vor einem massiven Jobabbau in der Branche. „Die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, gerade im Zuliefererbereich, werden erheblich sein“, heißt es beim Verband der Automobilindustrie (VDA). Schon die bisherigen Ziele der EU könnten etwa 215.000 Stellen betreffen, so der Verband weiter.
Der VW Konzern sieht die Verschärfung der Klimaziele weniger kritisch. Allerdings fordert auch VW, dass die Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut werden muss und dies auch mit der Produktion von ausreichend grünem Strom einherzugehen hat. Branchenvertreter rechnen damit, dass bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen statt um 55 Prozent auf 60 Prozent als Vorgabe von der EU abgesenkt werden. Die Minderung um 60 Prozent bis 2030 glaubt die Automobilindustrie auch zu schaffen. Mehr sei allerdings in einem knappen Jahrzehnt kaum zu erreichen, weil alle Autohersteller erst einmal eine große Zahl von neuen Batteriefabriken schaffen und dafür auch die entsprechende Rohstoffversorgung absichern müssten, so das Handelsblatt. Zudem müssen auch die entsprechenden technischen Fortschritte erst einmal Einzug in die Produktionsabläufe der Hersteller finden. Autos, die in drei Jahren in den Markt kommen, sind heute weitestgehend in der Entwicklung fertig. Diesen zeitlichen Vorlauf sollte die Politik bedenken, wenn sie immer wieder die Zielvorgaben verändert.
Doch auch einigen EU-Abgeordneten geht das Tempo zu schnell und zu weit. „Wir haben die Grenzwerte erst 2019 beschlossen. Ich verstehe nicht, warum die EU-Kommission sie jetzt, zwei Jahre früher als geplant, überarbeiten will“, sagt Jens Gieseke von der CDU und führt weiter aus: „So gibt es keine Rechtssicherheit und keine Planungssicherheit. Die Kommission hält sich nicht an Vereinbarungen“. Auch der SPD-Abgeordnete Ismail Ertug sagt: „Mit der Infrastruktur, die wir derzeit haben, ist es unrealistisch 2035 nur noch Elektrofahrzeuge zu verkaufen. Alle Mitgliedsstaaten müssten massiv in Ladesäulen investieren. Das sehe ich nicht.“
Die Regelung über den Flottenverbrauch bietet für die Hersteller von Verbrennerfahrzeugen noch einen Ausweg. So könnten klassische Motoren auch mit E-Fuels betrieben werden, also mit synthetischen Kraftstoffen, die etwa aus Stroh hergestellt werden. Die Automobilindustrie fordert, diesen Weg offenzuhalten, also nicht nur auf Batterieantriebe zu setzen. Je schneller die Klimaziele im Verkehrssektor verschärft werden, desto schwieriger wird es, E-Fuels effizient und günstig zu entwickeln. Auch bei der technischen und wirtschaftlichen Herstellung von E-Fuels steht die Branche noch am Anfang.
Die Überlegungen der EU-Kommission, die Grenzwerte schnell hochzusetzen, würde die Autoindustrie faktisch dazu zwingen, nur noch rein batterieelektrische Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, kritisiert der VDA. Bei einer Verschärfung der Ziele werden sich auch Plug-in-Hybride nicht mehr allzu lange im Markt halten können. Nur mit E-Motoren sind schärfere CO2-Einsparungen jenseits der 60 Prozent CO2-Reduktion in der Fahrzeugflotte der Hersteller zu realisieren. Für Umweltverbände und die Grünen ist das Elektroauto die Zukunft und sonst nichts, merkt das Handelsblatt an.
Ein Problem bleibt der ungleich verlaufende Aufbau der Ladeinfrastruktur innerhalb der EU. 55 Prozent aller verfügbaren Ladepunkte konzentrieren sich aktuell auf die Niederlande, Frankreich und Deutschland. Besonders in Osteuropa geht es mit der Elektromobilität nur sehr schleppend voran. Um die europäischen Emissionsziele zu erreichen, muss Westeuropa wahrscheinlich in Zukunft vorangehen. Branchenberechnungen muss der Elektroanteil bei den Neuzulassungen beispielsweise in Deutschland im Jahr 2030 bei etwa 80 Prozent liegen. In Osteuropa werden solche Quoten frühestens 2045 erreichbar sein.
Die Automobilhersteller müssen sicherstellen, dass sie beim Durchschnitt aller verkauften Pkws in Europa die jeweiligen CO2-Vorgaben der EU erfüllen. Wer den Grenzwert nicht einhält, muss ein Bußgeld an die EU-Kommission zahlen, das im schlimmsten Fall mehrere Milliarden Euro ausmachen kann. Aktuell können sparsame Elektrofahrzeuge den Automobilherstellern durch eine Mehrfachanrechnung helfen, die CO2-Emissionen in der Flotte niedrig zu gestalten. In 2020 wurde ein einzelnes Elektroauto doppelt mit null Gramm Kohlendioxid bewertet. Diese Mehrfachanrechnung wird immer wieder kritisiert, da bei der Produktion von E-Autos mehr CO2 freigesetzt wird als bei der Produktion eines Verbrenners und der europäische Strommix, mit dem die E-Autos betankt werden, noch sehr stark auf die CO2-lastige Kohleverbrennung setzt. Die Nutzung von CO2-freien Biokraftstoffen in Autos mit Verbrennungsmotor wird bislang nicht auf die CO2-Bilanz angerechnet. Sollte die EU den Flottenverbrauch bis 2035 auf null senken, dann sind alle anderen Antriebsarten außer Elektroautos, die rechnerisch mit einer Null-Emission bewertet werden, obsolet.