Ende Juni 2024 kostete eine Megawattstunde Strom zeitweilig 2.000 Euro
Eine Kommission hat im Auftrag der Bundesregierung geprüft, wie es mit der Energiewende bis 2030 aussieht. Sie sieht politischen Handlungsbedarf in nahezu allen Bereichen der Energiewende. Diese Kommission wurde von der Bundesregierung 2011 ins Leben gerufen.
Zufrieden sind die Fachleute mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. 2023 stammten 51,6 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Quellen. Im Jahr 2022 lag der Anteil bei 46,2 Prozent. Insbesondere der Ausbau der Photovoltaik kommt zügig voran, so die Kommission. Dies hat allerdings auch negative Folgen: Die Stromverteilnetze stoßen vielerorts an ihre Belastungsgrenzen. Außerdem kommt es immer häufiger zu Phasen, in denen die Strompreise an der Börse tief absacken, weil mehr Strom angeboten wird als sinnvoll genutzt werden kann.
Den Finger in die Wunde legen die Experten beim Thema Versorgungssicherheit. Die Kapazitäten der steuerbaren Kraftwerke sinken, weil Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke schrittweise abgeschaltet werden müssen. Dadurch entsteht eine Lücke, die die Bundesregierung mit ihrer Kraftwerksstrategie noch schließen muss. Hierfür müssen neue Gaskraftwerke gebaut werden, die 2030 in Betrieb gehen müssten. Allerdings haben die Gaskraftwerke eine Vorlaufzeit vom Bau bis zur Inbetriebnahme von mindestens 6 Jahren. Somit ist die Bundesregierung hier bereits in Verzug. Zudem erklärten die Experten, dass die Kraftwerksstrategie viel zu knapp bemessen sei. Nach den Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums soll es Ausschreibungen für Gaskraftwerkskapazitäten im Umfang von 10 Gigawatt (GW) geben. Dies entspräche in etwa 20 größeren Kraftwerksblöcken. Dies wird aber nach Einschätzung der Kommission bei weitem nicht ausreichen, denn Experten gehen vom doppelten Bedarf aus, nämlich 20 Gigawatt.
Eine weitere Schwäche sieht die Kommission beim Netzausbau. Mit Blick auf das Stromübertragungsnetz empfiehlt die Kommission künftig den Vorrang für eine Erdverkabelung aufzugeben und stattdessen auf Freileitungen zu setzen. Allerdings verweist das Bundeswirtschaftsministerium bei dieser Debatte auf die Länder und bei den Ländern scheint die Bereitschaft zu einer Rückkehr zu den Freileitungen gering. Doch gerade dies wäre wichtig, denn die Netzentgelte sind mit der größte Kostentreiber der Energiewende. In einigen Fällen machen sie mehr als ein Drittel der Stromkosten aus und dürften weiter steigen. Wir können auf der einen Seite weitere Windanlagen bauen und Solarzellen, aber dies ist nur zweckdienlich, wenn auf der anderen Seite die entsprechenden neuen Netze entstehen und die nötigen Reservekapazitäten geschaffen werden. Das alles muss zeitgleich erfolgen, wenn alle diese Mechanismen nahtlos zusammenarbeiten sollen.
Was dies im Einzelfall bedeuten kann, zeigte sich im Monat Juni an der Strombörse. Am Mittwoch, den 26. Juni kostete zwischen 6 und 7 Uhr morgens eine Megawattstunde 2.000 Euro. Normalerweise liegen die Preise im Tagesverlauf zwischen 100 und 200 Euro und auch deutlich darunter. Wer einen sogenannten dynamischen Stromtarif hat, wurde mit entsprechend hohen Kosten belastet. An diesem Tag kam es an der EPEX Spot Börse in Paris zu einem technischen Problem. Die sonst dort zusammengeführten Strompreise wurden entkoppelt, sodass Deutschland, Österreich, Dänemark, Frankreich und andere europäische Länder zeitweilig nur eine gesonderte Auktion hatten, die auf das eigene Land beschränkt war. Das heißt, uns Deutschen fehlt das Stromangebot aus anderen preisgünstigen Ländern, wie Frankreich, Polen, Österreich etc. Das Ergebnis war eine Situation, die eintreten würde, wenn Deutschland sich komplett selbst mit Strom versorgen müsste, ohne Strom aus den Nachbarländern importieren zu können. Einige Beobachter verwiesen darauf, dass der Vorfall exemplarisch aufzeigt, was passieren würde, wenn alle Länder in Europa in der Energiewende wie Deutschland vorgingen. Christof Bauer, Professor für Energiewirtschaft an der technischen Uni Darmstadt, merkte an, dass die Bundesregierung aus diesen Vorfällen die Konsequenzen ziehen solle und keine weiteren Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, bevor weitere Gaskraftwerke angeschlossen wären.
Der Energiemarktexperte Tobias Federico erklärte in NTV, „uns wurde vor Augen geführt, wie wir vom Im- und Export her von den Nachbarländern abhängig sind. Langfristszenarien zeigen, dass wir genau solche Schwankungen in Zukunft erwarten müssen, wenn wir weiter extrem viel fluktuierende Stromerzeugung ausbauen, aber nicht im gleichen Maß Im- und Exportkapazitäten zu unseren Nachbarländern schaffen. Oder wenn wir zu wenige Backupkraftwerke bauen, die zur Not einspringen können. Der Softwarefehler an der Strombörse hat uns auf eine Zeitreise in dieses langfristige Szenario mitgenommen.“
Die Feralpi-Gruppe, die ein Stahlwerk in Riesa, Nähe Dresden, betreibt, entschloss sich, das komplette Stahlwerk am Mittwoch stillzulegen, da es billiger war, für einen Tag auf die komplette Produktion zu verzichten als das Werk zu diesen horrenden Strompreisen weiterlaufen zu lassen. Laut Werksangaben wäre sonst ein Schaden im siebenstelligen Bereich entstanden.