VW vergleicht diesen Prozess mit einer bemannten Mission zum Mars

Vielfach wird in den Medien oder auch von Politikern und der Wirtschaft der Eindruck erweckt, als ob das vollautonome Fahren bald schon beginnen würde. Dieser Frage, wie weit diese Technik tatsächlich ist, ist das Handelsblatt sowohl auf der Straße, auf der Schiene und in der Luft einmal nachgegangen. Nach der anfänglichen Euphorie und dem Hype der ersten Jahre, setzt sich in puncto autonomes Fahren jedoch langsam die Realität durch. Und die lautet: Zumindest flächendeckend werden komplett autonome Systeme in absehbarer Zeit nicht umsetzbar sein. Zu komplex, zu teuer, zu herausfordernd – zu diesem Ergebnis kommt das Handelsblatt nach seinen Recherchen.

Die Erfahrungen mit den zunehmenden Automatisierungen können zuweilen auch erschrecken. Zweimal in fünf Monaten stürzte eine Boeing 737 vom Typ Max ab und riss 350 Menschen in den Tod, da die Systeme den Piloten falsche Informationen gaben. Auch der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Auch wenn selbstfahrende Autos zehnmal sicherer sein sollen als vom Menschen gesteuerte, braucht es nur einen spektakulären Vorfall, um die breite Akzeptanz zu erschweren.“

Bei VW in Wolfsburg, BMW in München und Daimler in Stuttgart weiß man mittlerweile, dass sich die Entwicklung des autonomen Fahrens weitaus langwieriger gestaltet als erwartet. Mehr noch: Die höchste Stufe der Autonomie – allgemein als Level 5 bezeichnet – wird möglicherweise gar nicht erreicht, zumindest nicht in der Fläche und der Masse, so das Handelsblatt weiter. Zum einen ist der technische Aufwand viel zu hoch und verschlingt gewaltige Milliardenbeträge. Andererseits gibt es auch grundsätzliche Zweifel daran, ob Level 5 wirklich machbar ist. Diese Stufe würde verlangen, dass ein autonom fahrendes Auto wirklich komplett und in jeder Situation bei allen Straßenbedingungen selbständig unterwegs sein kann.

Selbst erfahrene Techniker sind inzwischen nicht mehr sicher, ob Radar, Sensoren und Kameras wirklich in allen Situationen den Menschen ersetzen können. Anfang März 2019 dämpfte der Chef der Volkswagen-Nutzfahrzeugsparte Thomas Sedran auf dem Genfer Autosalon die Erwartungen mit klaren Worten: „Frühestens in fünf Jahren wird man ohne Fahrer auskommen. Aber auch dann nicht in jeder denkbaren Situation im Straßenverkehr. Es ist einfach zu teuer.“

Der Chef der VW-Nutzfahrzeuge machte folgende Rechnung auf: Schon für einen Wagen mit einem Automatisierungsgrad von Level 3 würde die Technologie für Sensoren, Prozessoren und Software derzeit rund 50.000 Euro verschlingen. Zu viel für einen Privatkunden. Die Komplexität der verbundenen Probleme verglich Sedran mit der einer bemannten Mission zum Mars. Auch der Entwicklungschef von PSA Gilles de Borgne verkündete auf der Genfer Automobilmesse, dass Level 4 und Level 5 Fahrzeuge für die private Nutzung zu teuer seien.

Vollautonome Systeme setzen sich am ehesten durch, wo die Mobilität von gewissen Standards und Routinen geprägt ist. Beispiel hierfür sind die Agrarwirtschaft oder auch U-Bahn-Linien. In der Röhre stören eben keine Kreuzung, keine unachtsamen Fußgänger und keine Unwetter. Doch schon über der Erde funktioniert das, was im Tunnel geht, nicht mehr und auch nicht auf der Schiene. Die wesentliche Aufgabe der Lokführer in den ICE-Zügen ist es schon heute, den weitgehend selbstfahrenden Zugbetrieb nur noch zu überwachen. Solange die Strecke halbwegs separiert und das Wetter gut ist, ist alles kein Problem. Sobald aber etwas Unvorhergesehenes geschieht, sich zum Beispiel Menschen auf Gleisen befinden, sind die Systeme noch nicht in der Lage, diese Krisensituationen zu meistern.

Auch mancher Airline-Manager würde gerne Piloten ersetzen, zumindest einen von den zweien im Cockpit. Wenn sich ein Notfall ergibt, dann muss ein Pilot das Flugzeug fliegen und der andere die Checkliste lesen, abarbeiten und dem anderen zuarbeiten, so die Aufgabenteilung, wie es Janis Schmitt, Sprecher der Berufsorganisation Vereinigung Cockpit im Handelsblatt erklärt. Oder anders ausgedrückt, wie es ein erfahrener Pilot einmal erklärte: „Ich will heil runterkommen, dem Computer ist es egal.“ Es kommt auch vor, dass Bordcomputer nicht nachvollziehbare Anweisungen geben oder sich im Extremfall einfach verabschieden: „Habe keine Lösung – du kannst das Flugzeug übernehmen“. Dies sei ihm als Meldung schon vorgekommen, so ein erfahrener Pilot im Handelsblatt.