Blauer wäre genügend vorhanden und Wasserstoff kann klimaschädlich sein

Das Handelsblatt berichtete, dass in den kommenden Jahren ausreichende Mengen an Wasserstoff nicht so schnell zur Verfügung stehen werden, obwohl viele Politiker gerne den Anschein erwecken, dass es mit grünem Wasserstoff morgen schon losgehen könnte. Zudem wurde berichtet, dass Wasserstoff auch klimaschädlich sein kann.

Deutschland kann nur klimaneutral werden, wenn in der Industrie und im Verkehr klimaneutraler Wasserstoff zum Einsatz kommt, so die Aussagen aus Politik und Wirtschaft. In wenigen Jahren (bis 2030) sollen wasserstoffbasierte Verfahren den CO2-Ausstoß der Stahl- und Chemieindustrie deutlich verringern. Auch im Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr spielt Wasserstoff laut Plan der Bundesregierung eine entscheidende Rolle bei der CO2-Reduktion. Überall dort, wo der direkte Einsatz von Strom nicht möglich ist, braucht es am Ende Wasserstoff, so die Ansicht der Politik in Deutschland.

Allerdings sind Wissenschaftler skeptisch. Es sei „hochgradig unsicher, wann die Wasserstoffvolumina, mit denen die Politik plant, tatsächlich zur Verfügung stehen“, sagt Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dem Handelsblatt. Für den Aufbau einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette sei eine Innovationsdynamik erforderlich, die jenseits aller Vergleiche liegt, so der Forscher. Grünen Wasserstoff gewinnt man, indem Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Grünen Wasserstoff aus Wind, Sonne oder Wasserkraft herzustellen ist sehr energieintensiv. Zehn Gigawatt (GW) an Elektrolysekapazität für grünen Wasserstoff will die Bundesregierung bis 2030 in Deutschland aufbauen. Mit dem Wasserstoff, der sich auf diesem Wege herstellen ließe, könne man allenfalls ein bis zwei Prozent des Endenergiebedarfs abdecken. Der Beitrag für den Klimaschutz und zur Erhöhung der Versorgungssicherheit wäre bis dahin also sehr überschaubar, so Gunnar Luderer weiter. Zudem weist er darauf hin, dass neben der Herstellung auch erst eine entsprechende Transportinfrastruktur geschaffen werden muss.

Die Stahlunternehmen wie Thyssen-Krupp und Salzgitter sind allerdings darauf angewiesen, dass sie ab der zweiten Hälfte des laufenden Jahrzehnts Zugang zu großen Mengen an grünem Wasserstoff haben, wenn sie die Stahlproduktion in Europa – und klimaneutral – halten wollen. Sie wollen mit Milliardeninvestitionen die alten Hochöfen schrittweise stilllegen. Übergangsweise könnte auch Erdgas als Energiequelle eingesetzt werden, allerdings schmälert dies die CO2-Einsparungen. Eine weitere Alternative wäre es, blauen Wasserstoff mit Hilfe von Erdgas zu erzeugen. Bei diesem Verfahren wird das anfallende CO2 im Erdreich verpresst. Das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS) ist in Ländern wie Norwegen ein erprobtes Verfahren. Dieser Wasserstoff ist folglich klimaneutral.

Gunnar Luderer geht davon aus, dass sich erst in den 2030er-Jahren ein weltweiter Wasserstoffmarkt entwickeln werde. Es sei völlig unklar, ob sich bis 2030 nennenswerte Transportkapazitäten für einen globalen Wasserstoffmarkt aufbauen ließen. Auch der Leiter des Bereichs Klima und Nachhaltigkeit bei Deloitte, sieht Wasserstoff in den nächsten Jahren als ein knappes Gut. Die weltweit angekündigten Projekte würden 2030 nur ein Viertel des allein für Deutschland prognostizierten Bedarfs decken.

Auch Andreas Goldthau, Professor für Public Policy an der Uni Erfurt, ist mit Blick auf die Potenziale von Wasserstoffimporten zurückhaltend. Nach seiner Meinung reicht es nicht aus, für die Bewertung der Potenziale in den jeweiligen Weltregionen nur auf eine kostengünstige Produktion (viel Sonne oder Wind) zu schauen, sondern auch auf die politische und wirtschaftliche Stabilität in diesen Erzeugerstaaten. Nach seiner Meinung kann es durchaus sein, dass ein Land zwar über sehr gute Produktionsbedingungen verfügt, weil es wind- und sonnenreiche Standorte aufweist, andere Faktoren aber dem Aufbau einer Wasserstoffproduktion entgegenstehen. Laut Goldthau sind die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen in Ländern wie Kanada, Großbritannien und Norwegen für eine Wasserstoffproduktion stabiler und Ländern wie Marokko, Usbekistan, Turkmenistan und Angola als Lieferanten vorzuziehen.

Bernhard Lorentz von Deloitte geht zudem davon aus, dass Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol und synthetisches Kerosin anfangs im Mittelpunkt des globalen Handels stehen werden, weil sie sich leicht in flüssiger Form über große Entfernungen transportieren lassen. Der Umgang mit den Derivaten sei in weiten Teilen seit Jahrzehnten erprobt und somit die globale Logistik schnell skalierbar, so sein Ansatz. Treiber der Nachfrage nach klimaneutralem Wasserstoff sind zunächst die energieintensive Industriebranchen wie Stahl, Chemie, Aluminium, Gießereien, Glaserzeuger und Zement. Eine wettbewerbsfähige Produktion ist mit den steigenden CO2-Abgaben auf fossile Energiearten in Europa für diese Branchen nicht mehr zu betreiben. Zudem sind die heute schon hohen Strom- und Gaspreise in Deutschland eine echte Herausforderung für die Hersteller, die im Weltmarkt tätig sind.

Wasserstoff kann auch klimaschädliche Wirkungen entfalten. Wenn er in die Atmosphäre entweicht, schadet er dem Klima deutlich stärker als Kohlendioxid. Wasserstoff reagiert mit Hydroxid-Molekülen zu Wasser, sodass weniger Hydroxid für Reaktionen mit Treibhausgasen vorhanden ist. Dadurch steigt der Ozongehalt in der Atmosphäre und das äußerst klimaschädliche Methan wird langsamer abgebaut. „Die indirekte Klimawirkung von Wasserstoff ist auf einen Zeitraum von 20 Jahren um den Faktor 33 höher als die Klimawirkung von Kohlendioxid“, so Andrea Lübcke von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaft.

Beim Wasserstoff müssen strikte Vorkehrungen getroffen werden, um Wasserstofflecks zu verhindern. Fred Krupp, Chef der US-Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund (EDF) weist darauf hin, dass die Wasserstoffwirtschaft noch Neuland ist. Die Wissenschaft befasse sich erst seit kurzer Zeit mit den möglichen Folgen auf die Erderwärmung. Noch gebe es keinen Konsens in der Frage, welche Standards nötig seien, um das Entweichen von Wasserstoff in die Atmosphäre zu verhindern. Weil Wasserstoff selbst kein Treibhausgas sei, seien die Effekte bis vor Kurzem ignoriert worden. Nach seiner Meinung kann man zwar große Lecks entdecken, die ein Explosionsrisiko darstellen, aber nicht die vielen kleinen Lecks, die in der Gesamtheit die Erderwärmung verschlimmern könnten.

Eine Untersuchung der Columbia-Universität, die Forschungsergebnisse zusammenfasste, stellte deshalb fest: Niemand weiß bislang genau, wann und wo wie viel Wasserstoff austritt. Zukünftig sollen auch Erdgasleitungen für Wasserstoff genutzt werden, so der Anspruch der europäischen Regierungen. Es soll bis 2030 ein Netz entstehen, das zunächst die industriellen Zentren im Nordwesten Europas miteinander verbindet und dann schrittweise wächst. Doch die Vorstellung, man könne Erdgasleitungen einfach für den Transport von Wasserstoff nutzen, führt in die Irre, so Robert Schlögl, Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin zum Handelsblatt. „Das Leckage Problem macht deutlich, dass die Umwandlung des vorhandenen Erdgasnetzes in ein Wasserstoffnetz nicht so einfach möglich ist. Die Wasserstoffinfrastruktur kann niemals einfach die Kopie einer Erdgasnetzinfrastruktur sein“, so der Direktor. Diese Einwendungen aus der Wissenschaft zeigen, es sind noch einige umwelttechnische und wirtschaftliche Hausaufgaben zu machen, bevor grüner Wasserstoff in Deutschland in nennenswertem Umfang eingesetzt werden kann. Dies wird bis 2030 kaum gelingen.

Einen Zwischenschritt, blauen Wasserstoff zu erzeugen, lehnt die Bundesregierung noch ab. Diese Technik ist in Ländern wie Norwegen bereits etabliert und wird diesen noch lange die eigenen Erdgasmengen zur klimaneutralen Nutzung erhalten. Das Bundeswirtschaftsministerium evaluiert zurzeit, ob CCS in Deutschland möglich ist. Das Bundesforschungsministerium fordert, die CO2-Verpressung im industriellen Maßstab schnell zuzulassen. 2012 wurde im Kohlendioxidspeicherungsgesetz die CCS-Speicherung verboten, allerdings schreibt das Gesetz auch eine regelmäßige Überprüfung der technischen Möglichkeiten und Beobachtungen aufgrund von Erfahrungen aus dem Ausland vor. Viel Zeit bleibt für die Evaluierung nicht, wenn wir der Industrie in Deutschland bis 2030 bezahlbaren Wasserstoff zur Verfügung stellen wollen.

Wenn die Bundesregierung sich zu CCS durchringen sollte, wäre es sinnvoll, auch in Deutschland die Erschließung der erheblichen Erdgasreserven anzugehen. 800 Milliarden Kubikmeter Schiefergas wären hier zu gewinnen. Deutschland verbraucht jährlich rund 80 Milliarden Kubikmeter an Erdgas und bei 100 Prozent Ersatz wäre das Gas in zehn Jahren aufgebraucht. Allerdings gehen Experten davon aus, dass technisch und wirtschaftlich eine jährliche Förderkapazität von 20 Milliarden Kubikmeter realistisch wäre, sodass wir rund 40 Jahre auf diese Energie zurückgreifen und daraus einen Teil des blauen klimaneutralen Wasserstoffs für die Industrie im eigenen Land erzeugen könnten. Deutschland will aber in 27 Jahren schon aus der Erdgasverwendung – von der eigenen Erdgasgewinnung spricht da noch keiner – aussteigen. Doch solche Investitionen brauchen eine lange Nutzung und es gilt zu berücksichtigen, dass solche Projekte in Deutschland eine lange Genehmigungszeit, wahrscheinlich sieben bis zehn Jahre, benötigen. Übrigens: Die langen Genehmigungszeiten sind ein weiterer Grund – neben den bereits heute hohen Energiekosten – warum Deutschland als Standort für Unternehmen immer unattraktiver wird.