Die deutschen Politiker und der Tankstellenpreis

Als Anfang Juni die Mineralölsteuer für Benzin und für Diesel auf den gesetzlichen Mindestsatz abgesenkt wurde und dies – zumindest nach den Vorstellungen von Politik, ADAC und Presse – nicht in ausreichendem Maße beim Endverbraucher ankam, wurde direkt nach dem Dieb gesucht. Dem Kartellamt fiel plötzlich wieder ein, dass man eine vor rund zehn Jahren bereits angedachte Studie zur Großhandelsebene im Mineralölmarkt nun endlich angehen müsse. Allerdings verwies der Kartellamtschef Mundt darauf hin, dass eine solche Studie eines entsprechenden Zeitrahmens bedarf und zur aktuellen Lage nichts beitragen kann. Auch einige Uni-Professoren und deren Studenten fingen an, über seltsame Rechenwege nachzurechnen, ob sich der Tankstellenpreis in Deutschland entsprechend der Mineralölsteuersenkung tatsächlich reduziert hat. Einige kamen zu dem Ergebnis, dies sei nicht der Fall, andere meinten, die Nachlässe seien weitestgehend angekommen. Es wurden Preisvergleiche mit den Tankstellenpreisentwicklungen im Ausland herangezogen, es wurde über den Rohölpreis versucht, einen Rückschluss zum Tankstellenpreis zu ziehen und eine Uni-Professorin verstieg sich in der Behauptung, die Mehrwertsteuersenkung im Jahre 2020 sei von den Konzernen ebenfalls nicht weitergegeben worden.

Warum schaute sich niemand die einfachen Fakten an?

Den deutschen Mineralölmarkt zu überwachen und nachzurechnen, ist relativ einfach. Hierfür muss der Autor (es muss kein Professor sein oder eine ganze Behörde) einer solchen „Studie“ lediglich die internationalen Fertigproduktpreise, die im Platts weltweit notiert werden, heranziehen. In Deutschland sind es die OMR-Notierungen, die sich jeder ernsthaft Interessierte, ob Ministerien, Kartellamt, Presse oder ADAC jederzeit beschaffen und ansehen könnte.

Doch zurück zur Ausgangslage. Die mittelständischen Tankstellenbetreiber wie wir kaufen kein Rohöl bei den Mineralölproduzenten ein, sondern Benzin und Diesel. Diese Fertigprodukte werden in Deutschland entweder auf Platts- oder auf O.M.R.-/Argus Notierungen an die Abnehmer im Rahmen von Termverträgen oder Spotabschlüssen von den Mineralölraffinerien an die Tankstellenbetreiber verkauft. Platts und O.M.R./Argus sind Plattformen, die den Spothandel an diversen Handelsplätzen international beziehungsweise national reporten. Für die Platts-Preise gibt es weltweit Handelsplätze und der O.M.R. reportet den deutschen Markt an 11 Standorten. Alle diese Informationen sind öffentlich und können von jedem Interessenten jederzeit gegen Gebühren, die an den Platts oder O.M.R. zu entrichten sind, eingesehen werden.

Wir sind bisher davon ausgegangen, dass diese Daten wenigstens dem Kartellamt und eigentlich auch der Wirtschaftspresse und den Wirtschaftsprofessoren vorliegen müssten. Zudem gibt es Informationsdienste, wie den Future-Service oder auch den Energie-Informationsdienst, die im Netz oder in Papierform über den Energiemarkt in Deutschland und auch über die Auswirkungen des Weltmarktes berichten. Auch diese Dienste sind gegen eine angemessene, bezahlbare Abogebühr für jeden zugänglich.

Seit dem 24. Mai bis Mitte Juni waren die Preise im Großhandel für Benzin und Diesel weitaus schneller angestiegen als die Rohölpreise. Der Rohölpreis schwankte, je nach Nachrichtenlage von den Weltmärkten, in diesem Zeitraum zwischen 110 und 124 Dollar. Durch die höheren Zinsen in den USA hat zudem der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verloren, was den Rohöleinkauf für uns Europäer ebenfalls verteuerte.

Das Embargo gegen russisches Öl führte dazu, dass zwei Millionen Barrel Rohöl in der weltweiten Versorgungskette ausgeschlossen wurden. Dieser Effekt, Russland zu bestrafen, war politisch gewollt und zeigt auch weitestgehend Wirkung. Die Folge ist allerdings auch, dass sich die Rohölpreise deutlich über der 85-Dollar-Marke bewegen, die vor Ausbruch des Krieges erreicht wurde. Das heißt, ohne diesen Preisanstieg des Barrel Rohöl (159 Liter) um rund 30 US-Dollar (Wechselkurs 0,95 Euro) = 28,50 Euro, wären die Tankstellenpreise circa 17 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer, aus Kundensicht rund 20 Cent, günstiger. Doch auch diese Rechnung muss nicht stimmen, denn wie sich der Rohölpreis ohne den Krieg Russlands in der Ukraine entwickelt hätte, weiß niemand.

Weitere belegbare Tatsachen durch die reporteten, internationalen Plattspreise sind, dass sich die internationalen Produktpreise für Benzin und Diesel im Zeitraum 24.05.2022 bis Mitte Juni 2022 deutlich stärker erhöht hatten als der Rohölpreis. Während die Rohölpreisverteuerung je nach Tagespreis von 114 bis 123 Dollar, um maximal sechs Cent schwankte, stiegen in diesem Zeitraum die Benzinpreise ab Raffinerie weltweit um 15 Cent und die Dieselpreise sogar um 21 Cent. Diese Preise erhöhen sich an der Tankstelle nochmal um die entsprechende Mehrwertsteuer. Der internationale Produktpreisanstieg für Benzin und Diesel (der Preisanstieg war kein deutsches Phänomen wegen der Steuersenkung, denn eine deutsche Steuersenkung spielt im Weltmarkt keine große Rolle) ließen die Einkaufspreise steigen und verminderten optisch den Steuernachlass an der Zapfsäule. Nach dem 20. Juni 2022 kamen die Benzinpreise an den Fertigproduktbörsen (Platts/OMR) unter Druck und so fielen auch die Tankstellenpreise für Benzin in Deutschland in dieser Zeit, während der Rohölpreis mit 115 – 120 Dollar hoch blieb. Der Dieselpreis auf OMR Basispreis ging ebenfalls in den letzten Tagen des Junis deutlich zurück, während die Rohölpreise weiter um die 118 Dollar blieben. Zu diesen Fakten, dass der Benzin- und Dieselpreis nachgab, obwohl der Rohölpreis hochblieb, gab es keine Kommentare aus den Ministerien, Kartellamt, Presse oder ADAC – wahrscheinlich, weil sie diese Fakten nicht kannten. Da Diesel und Benzin an den Produktbörsen nachgaben, obwohl der Rohölpreis hoch blieb, gaben auch die Raffineriemargen per Ende Juni wieder etwas nach. Diese bewegten sich aber immer noch auf einem lukrativen Niveau von 100-150 € die Tonne.

Da einige Raffinerien in den USA und Asien in den Coronazeiten 2020/2021 ihre Kapazitäten reduziert hatten und zudem auch die russischen Raffinerien in den letzten Monaten immer weniger Fertigprodukte exportieren können, stößt eine hohe Nachfrage nach Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin auf zu geringe Produktionskapazitäten. In den USA sind die Benzinbestände zu Beginn der Fahrsaison (Mai bis September) auf einem sehr niedrigen Niveau, so dass die USA entsprechende Benzinmengen auf den Weltmärkten einkaufen. Russland hatte in der Vergangenheit Diesel nach Europa exportiert und die Europäer suchen als Ersatz für die Dieselmengen nach Alternativen auf dem Weltmarkt.

Dies führt dazu, dass die Fertigprodukte weltweit knapper sind als das eigentliche Rohöl, mit der Folge, dass hierdurch weltweit – und nicht nur in Deutschland – hohe Raffineriemargen entstanden sind. Der Energieinformationsdienst (EID) berichtete bereits Mitte Mai darüber, dass im April 2022 die Raffineriemarge in Deutschland bei 191,5 Euro pro Tonne und in Rotterdam bei 197,8 Euro pro Tonne lagen. Dieser Anstieg setzte sich im Mai auf 207,1 Euro pro Tonne fort, wie der EID in seiner Ausgabe von Mitte Juni berichtete. Bei Inputkosten von 55 Euro pro Tonne, bleibt ein Deckungsbeitrag in den Raffinerien von 152 Euro pro Tonne, so der EID. Die Raffineriemargen schossen im April und Mai durch die Decke und dürften auch im Juni über der 200 Euro-Marke gelegen haben.

Fakt ist, dass die Tankstellenpreise ohne die weltweit hohen Raffineriemargen im Juni für Diesel brutto rund 20 Cent je Liter und für Benzin rund 10 Cent günstiger hätten sein können. Wobei auch dies sei noch mal angemerkt, diese Raffinerieaufschläge in den letzten 10 Tagen des Junis deutlich geringer wurde, was in den Tankstellenpreisen auch ankam. Allerdings müssen Käufer und Verkäufer an den Weltmärkten entscheiden, zu welchen Preisen sie bereit sind, Benzin, Diesel, Heizöl oder Kerosin zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen. Das wird an den Börsen reportet und nicht in irgendwelchen Hinterzimmern bestimmt und kann auch nicht politisch geregelt werden. Die Mengen und damit die Preise, die an den internationalen Plätzen ab den Raffinerien gehandelt werden, sind von den Mineralölkonzernen Esso, Total, Shell, BP und Co., die nur für 15 Prozent der weltweiten Rohölförderung stehen, nicht zu beeinflussen. Die großen Rohölerzeuger – und dies sind zu 85 Prozent staatliche Konzerne, ob von der arabischen Halbinsel, China, Norwegen, Russland oder Venezuela – sind die wichtigen Rohölproduzenten. Die größten Raffineriekapazitäten stehen in Asien inklusive Naher Osten.

Die Raffineriebetreiber in Deutschland sind die britische Shell und BP, die amerikanischen Gesellschaften Exxon/Mobil und Phillips66, die französische Total, die italienische Eni, die russische Rosneft, die österreichische OMV und die internationalen Ölhändler Gunvor und Vitol. In Deutschland gibt es keine nationalen Konzerne, die vom Bohrloch bis zur Tankstelle tätig sind. DEA und Aral wurden Anfang des neuen Jahrtausends von RWE und Veba an Shell beziehungsweise BP verkauft. Wenn der Wirtschaftsminister die Strukturen dieser nicht nationalen Konzerne zerschlagen will, dann viel Glück bei den Gesprächen mit deren Regierungen.

Wenn die Raffineure, sofern diese selbst Tankstellenketten in Deutschland betreiben, ihre Raffineriemarge an ihren Tankstellen einpreisen würden, dann wäre der Mittelstand chancenlos im Markt und dann wäre dies ein Fall für das Kartellamt, wegen unlauteren Wettbewerbs.

Die Diskussion in Presse, Politik und ADAC wirft bei den Tankstellenpreisen alles in einen Topf. Die hohen Gewinne in den Raffinerien und am Bohrloch sind ohne Zweifel da. Ohne diese Effekte wären die Tankstellenpreise rund 30 – 40 Cent niedriger. Aber wie hoch diese Erträge am Bohrloch oder in den Raffinerien ohne den Krieg wären, kann keiner objektiv bestimmen. Die Preise werden sich mit der Zeit wieder normalisieren, wenn Angebot und Nachfrage am Bohrloch und bei den Fertigprodukten ihr neues Gleichgewicht bei den Versorgungsströmen im Weltmarkt finden.

Wir stellen an unseren Tankstellen in Eifel, Hunsrück und im Saarland fest, dass der Tanktourismus nach Luxemburg, der seit 30 Jahren besteht, zurzeit nicht stattfindet. Ohne die vollständige Weitergabe der abgesenkten Mineralölsteuer zum 01.06.2022 wäre dies gar nicht möglich gewesen. Unsere Tankstellenmargen sind im Juni 2022 auch nicht besser oder schlechter als im Juni 2021. Wir hatten im Juni 2022 mit zwei Feiertagen und niedrigen Tankstellenbeständen am Monatsanfang – und das vor Pfingsten – eine große Herausforderung, die Versorgung der Tankstellen ohne flächendeckende und dauerhafte Leerstände zu meistern. Dank des Einsatzes unserer Spediteure und deren Fahrern sowie der Mitarbeiter in unserem Tanklager in Andernach, ist uns dies gelungen. Der August wird mit Sicherheit logistisch noch anspruchsvoller, da ab August auch der Tankrabatt von 18 Cent in Frankreich ausläuft und wir eine zusätzliche Nachfrage im Saarland und in der Pfalz erwarten.

Die Internationale Energieagentur (EIA) rechnet damit, dass die Ölnachfrage in 2023 um 2,2 Millionen Barrel pro Tag zunimmt und mit 101,6 Millionen Barrel pro Tag höher liegen wird als noch vor der Pandemie. 2019 lag die weltweite Ölnachfrage bei 99,7 Millionen Barrel pro Tag. Die Raffineriekapazitäten sollen in 2023 laut EIA allerdings nur um 1,6 Millionen Barrel pro Tag zulegen, während die Verarbeitung von Rohöl um 1,9 Millionen Barrel pro Tag steigen soll. Diese Einschätzung der EIA zeigt, dass die Raffinerien nicht mit der Nachfrage Schritt halten können und damit die Fertigproduktversorgung in 2023 eine große Herausforderung wird. Wahrscheinlich noch mehr als in diesem Jahr.

Gegensteuern ist schwierig, denn Raffineriekapazitäten aufzubauen bedarf zum einen einer langfristigen Planung und zum anderen sind hohe Investitionen notwendig. Unternehmen scheuen diese Investitionen angesichts des politischen Drucks, der sich gegen fossile Kraftstoffe aufbaut. Gerade die großen europäischen Mineralölkonzerne wie BP, Shell und Total streben in den nächsten 20 Jahren eine grüne Agenda an und planen Raffinerie zurückzubauen. Es ist zu befürchten, dass die Raffineriekapazitäten in den nächsten Jahren, gerade in Europa schneller sinken, als die Nachfrage nach Benzin, Diesel und Heizöl.

Das einzig deutsche Phänomen bei den Tankstellenpreisen ist, dass wir die Fakten des Ölmarktes in Deutschland einfach nicht wahrhaben wollen. Der Boykott von russischem Öl scheint immer besser zu funktionieren und das zeigt sich auch in einer angespannten weltweiten Versorgungslage für Rohöl und insbesondere auch bei den Fertigprodukten wie Benzin und Diesel. Weitergehende Überlegungen, Schiffe mit russischem Öl nicht mehr von westlichen Versicherungen versichern zu lassen und diese Versicherungen zu sanktionieren, würde Russland weiter unter Druck setzen und gleichzeitig die Versorgungssituation verschärfen, mit der Folge steigender Ölpreise. Solche Maßnahmen sind effektiv, um den russischen Export zu behindern, führen aber über höhere Energiepreise auch zu mehr Inflation.

Dies ist der Preis, den wir in Kauf nehmen müssen, wenn wir Russland nachhaltig wirtschaftlich treffen wollen. Das politische Handeln hat wirtschaftliche Konsequenzen, auch wenn die Politik dies nicht gerne wahrhaben will. Deshalb kommt der Ruf nach dem Dieb wie ein Echo zurück und stößt dabei leider auf taube Ohren, und das nicht nur in der Politik.