Handel, Industrie und Verbraucher beklagen hohe Stromkosten – wie geht es weiter?

Die Bundesregierung hofft mit dem Ausbau erneuerbarer Energien die Stromkosten dauerhaft zu senken. Doch wie das letzte Jahr zeigt, steigen die Energiekosten, da der Aufbau eines neuen Stromnetzes entsprechendes Geld fordert.

Als Deutschland beschlossen hat aus der Kernenergie und auch zukünftig aus der Kohlestromerzeugung auszusteigen, wurden stets die Kosten ausgeblendet. Der Chef der internationalen Energieagentur Fatih Birol sagte in einem Interview folgendes zum deutschen Ansatz der Energiewende: „Deutschland hat noch einen langen Weg vor sich: Das Energiesystem ist kein Fahrrad, sondern wie ein großer Tanker auf hoher See. Es braucht Zeit, die Richtung zu ändern und es wird nicht ohne Folgen bleiben. Auch der Ausstieg aus der Kernenergie war ein historischer Fehler. Ich respektiere die Entscheidung, aber sie hat negative Auswirkungen auf das Stromangebot und die Möglichkeiten, die Emissionen zu verringern. Deutschland hätte wenigstens die noch verbliebenden AKWs am Netz lassen können. Aber dafür ist es wohl jetzt zu spät.“

Auf die Fragen nach Wasserstoff beziehungsweise grünem Wasserstoff entgegnete er: „Ja, alle finden Wasserstoff gut, vor allem grünen Wasserstoff, der also mit Ökostrom produziert wurde. Die Regierungen versuchen Deals zu machen, zum Beispiel mit afrikanischen Ländern. Ich frage immer, wie viele dieser grünen Wasserstoffprojekte eigentlich bis 2030 fertig werden? Fest steht: Nur sieben Prozent der weltweiten Wasserstoffprojekte werden bis 2030 abgeschlossen sein. Die Kosten werden sehr hoch sein und es ist noch völlig unklar, wer den Wasserstoff nachfragen wird. Wasserstoff wird definitiv wichtiger werden, aber wir müssen dafür auch erst eine Nachfrage kreieren, um die Kosten zu reduzieren. Die aktuell überzogenen Erwartungen können davon ablenken, dass es davor wichtigere Probleme zu lösen gibt.“

Diese Antworten von Fatih Birol zeigen, dass wir in Deutschland schon den zweiten oder dritten Schritt machen, aber in der Regel noch nicht den ersten Schritt erledigt haben. 50 Gaskraftwerke mit 500 Megawatt müssten in Deutschland bis 2030 mit einer Gesamtkapazität von 25 Gigawatt gebaut werden, wenn diese als Backup-Lösung zur Verfügung stehen sollen, wenn Wind und Sonne mal nicht da sind und die Kohlekraft nicht mehr zur Verfügung steht. Zudem sollen diese Gaskraftwerke später in den 2030er Jahren auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Grüner Wasserstoff soll in den Wüsten des Nahen Ostens und in Afrikas Norden aus Sonne gewonnen werden, so die Vorstellung der Politik, denn er ist in Deutschland nicht kostengünstig herzustellen.

Die Gesamtinvestition in das deutsche Stromnetz im Zeitraum 2023 bis 2035 werden, laut einer Studie von McKinsey, zwischen 700 und 860 Milliarden Euro liegen. 250 Milliarden Euro werden für den Bau der Übertragungsnetze, 120 bis 160 Milliarden Euro für den Ausbau der Verteilnetze, die den Strom auf regionaler Ebene bis zum Haushaltsanschluss bringen, 300 bis 400 Milliarden für den Ausbau erneuerbarer Energien und 30 bis 50 Milliarden Euro für den Ausbau der Reservekapazitäten, die sich anders als Windräder und Photovoltaikanlagen wetterunabhängig nach Bedarf steuern lassen, geplant. Bis zum Jahr 2045 werden, gemäß dem Handelsblatt Research Institut (HRI), Kosten in Höhe von 1,1 Billionen Euro anfallen. Diese hohen Kosten werden dazu führen, dass sich die Haushaltsstrompreise in einer Größenordnung von 40 bis 45 Cent je Kilowattstunde bewegen werden.

McKinsey kommt in seiner Studie auch zu dem Ergebnis, dass Deutschland 2030 nicht in der Lage sein wird, seine Spitzenlast aus inländischer Erzeugung zu decken. Deutschland produzierte im Jahr 2023 insgesamt fast 10 Prozent weniger Strom und ist zum ersten Mal seit 2002 wieder zum Nettostromimporteur geworden. Und das in einem Jahr, in dem Deutschland in einer Rezession war und die Produktion stromintensiver Branchen wie Chemie und Stahl auf einem Tiefpunkt war. Der Stromimport ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass es zu wenig Strom gegeben hätte, sondern es war zeitweise schlicht und einfach billiger Strom in europäischen Nachbarländern einzukaufen als selbst zu produzieren. Insgesamt importierte Deutschland 8,6 Terawattstunden.

Da Wind und Sonne nicht gleichmäßig Strom produzieren, so wie er von Handwerk, Industrie und Haushalten gebraucht wird, müssen in Deutschland entsprechende Reservekapazitäten geschaffen werden. Hierfür muss anstelle von funktionierenden Kohle- und Atomkraftwerken im Umfang von bis 60 Milliarden in Gaskraftwerke investiert werden, so die FAZ. Gleichzeitig sollen diese Kraftwerke so gebaut werden, dass ab 2030 8,8 Gigawatt mit grünem Wasserstoff und ab 2035 weitere 15 Gigawatt der Gaswerke ebenfalls auf Wasserstoff umgestellt werden können, so ein Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium. Wo dieser Wasserstoff herkommt und zu welchen Kosten, wird nicht hinterfragt. Solche neuen Reservekraftwerke aus Gas rechnen sich allerdings nur, wenn den Betreibern hierfür auch ein Preis garantiert wird, wenn sie keinen Strom produzieren. Auch überschüssiger Strom aus erneuerbarer Energie wird vergütet, wenn dieser wegen drohender Überlastung abgeschaltet werden muss (Redispatch).

Die Energieindustrie mahnt diesbezüglich schon seit Längerem Entscheidungen an, wenn bis 2030 die entsprechenden Reservekapazitäten geschaffen werden sollen und die Kohlekraftwerke im Westen vom Netz gehen. Selbst wenn die Gaskraftwerke an bestehenden Standorten, wo es bereits einen Netzanschluss gibt, errichtet würden, dauert es fünf bis sechs Jahre von der Planung bis zur Inbetriebnahme, so Andres Schell, Vorstandschef des Energiekonzern ENBW. Zudem vergehen im Schnitt in Deutschland immer noch 60 bis 70 Monate vom Start bis zur Inbetriebnahme eines Windrades an Land. Vor diesem Hintergrund fordert der Vorstandsvorsitzende Schell auch mehr Pragmatismus von der Politik bei der Umsetzung der Energiewende. Er fordert „aber wenn wir schneller werden wollen, brauchen es mehr Entbürokratisierung und Digitalisierung.“ Dass wir in Deutschland binnen 6 Jahren gleichzeitig 50 Gaskraftwerke errichten können, dafür fehlt dem Präsidenten der Industrie (BDI) Siegfried Russwurm die Fantasie, wie er in einem Interview im Dezember sagte.

Die in Deutschland nach wie vor beschworene Energiewende wird mit hohen Kosten verbunden sein. Es wird immer wieder betont, dass die Strompreise sinken, wenn die erforderlichen Kapazitäten an Solar und Wind einmal gebaut sind. Hierbei werden die Kosten für die Reservekapazitäten sowie die entsprechenden neuen Stromnetze ausgeblendet und die Entschädigungen für den Kraftwerksrückbau für Atom und Kohle ausgeblendet. Statt die Stromnetze oberirdisch zu bauen, müssen sie – um bei der Bevölkerung vor Ort auf keinen Widerstand zu stoßen – oftmals unterirdisch verlegt werden, was die Kosten weiter nach oben treibt. Gleichzeitig fordert die Industrie bezahlbaren Strom, wenn sie bei der Erzeugung ihrer Produkte in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben will. Wenn der Staat die Industrie mit einem entsprechend günstigem Strompreis versorgt, bedeutet dies auf der anderen Seite, dass sie Haushalte, Handwerk, Landwirtschaft und Handel mit entsprechend hohen Strompreisen belastet. Dies wiederum führt zu einem Kaufkraftverlust der Bevölkerung. Wenn der Staat eine Strompreisbremse aus dem Bundeshaushalt subventioniert, braucht er mehr Steuern oder Abgaben, was ebenfalls zu einem Kaufkraftverlust beim Bürger führt. Folglich müssen wir ein Stromangebot schaffen, das bezahlbar ist, wenn wir keine Wohlstandsverluste erleiden wollen.

In diesem Punkt muss sich Deutschland langsam ehrlich machen. Den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen, ist nicht zu schaffen. Mit einer längeren Laufzeit der letzten sechs Atomkraftwerke, wie es unsere Nachbarn machen, wäre es leichter möglich gewesen. Die Konsequenzen sind auch schon zu beobachten: Die Bundesnetzagentur hat gegenüber Kraftwerksbetreibern angeordnet, Kohlekraftwerke, die eigentlich in den nächsten Jahren stillgelegt werden sollten, zumindest als Reserve weiter vorzuhalten, teils bis in die 2030er Jahre hinein. Aktuell verfügt Deutschland über rund 90 Gigawatt an Kohle- und Gaskraftwerken, Wasserkraft und Biomasse. Hinzu kommen rund 9 Gigawatt Pumpenspeicherkraftwerke. Damit kann selbst an Tagen ohne Wind- und Sonnenstrom die deutsche Spitzenlast von rund 80 Gigawatt bedient werden.

Allerdings wird der Strombedarf in den nächsten Jahren immer weiter steigen, wenn noch mehr Menschen Elektroautos fahren und mit Strom betriebene Wärmepumpen ihre Häuser heizen, während zunehmend Kohlekraftwerke vom Netz gehen sollen. Laut Plan der Bundesregierung sollten jeden Tag vier bis fünf Windräder errichtet werden, um die Klimaziele aus erneuerbarer Energie bis 2030 zu erreichen. Allerdings wurden im Jahr 2023 nur zwei Windanlagen pro Tag errichtet. Die Fakten zeigen, dass Deutschland in der Energiewende deutlich langsamer vorankommt als es die Politik glaubt. Auch die Fernwärmeleitungen, deren Planung in den Kommunen bis 2028 abgeschlossen sein sollen, müssen erstmal in den Jahren nach 2030 gebaut werden und verursachen enormen Kosten, wobei noch nicht klar ist, was die Fernwärme den Verbraucher am Ende kostet.

Wer am Ende die Kosten hierfür trägt und wie die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleiben soll, wird bei alldem ausgeblendet. Die aktuelle Antwort der Regierung sind Subventionen für die Industrie. Allein die Stahlindustrie bekommt bereits fest zugesagte sieben Milliarden für die Umstellung auf grünen Stahl. Neben dem Umbau will der Bund den laufenden Betrieb der Stahlanlagen fördern, um die Hersteller wettbewerbsfähig zu halten. Dies soll über Klimaschutzverträge geschehen und bis 2041 sind dafür staatliche Mittel im Klimaschutzfond in Höhe von bis zu 23 Milliarden Euro hinterlegt.

Auch andere Branchen stehen an und wollen über Klimaschutzverträge Subventionen erhalten, damit sie ihre Produktion weiter in Deutschland halten können. Batteriezellen- oder Chipproduktionen nach Deutschland zu holen, gelingt, wie die letzten Ansiedlungen zeigen, bei den hohen Stromkosten nur über Subventionen und diese sollten über Schulden finanziert werden, was aktuell nicht mehr geht. Beim Umbau der grauen Industrie in eine grüne hat die Politik in ihren Vorstellungen, wie auch schon beim Umbau zu einer grünen Energieversorgung, ein zu hohes Tempo entwickelt und blendet bei allem die Wirtschaftlichkeit und damit für den Bürger und die Unternehmen die Bezahlbarkeit aus. Schnelligkeit hat hier die erste Priorität. Hauptsache wir sind als erstes Land in der Welt klimaneutral und dies ohne Atomkraft.

In der Formel 1 gilt der Satz: Man muss die PS auf die Straße bringen können, sonst droht man aus der Kurve zu fliegen. Oder mit den Worten der FAZ: „Scholz bezeichnet die Transformation zur Klimaneutralität inzwischen als Reise, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Kein Wunder, dass viele Menschen überlegen, ob sie nicht besser die Reiserücktrittsbremse ziehen sollten.“