Politik spricht von Klimaneutralität in 2050 – ursprünglich galt das Ziel 80 bis 95 Prozent CO2-Reduktion

Bisher hatte Deutschland das Ziel, seine Treibhausgasemission bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Dieser Wert steht im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen des Jahres 2015. Doch mittlerweile macht in der Politik die Aussage die Runde, dass man im Jahr 2050 klimaneutral sein will. „Zwischen einer Emissionsreduktion von 95 Prozent und Klimaneutralität klaffen Welten“, sagt Oliver Geden, Klimaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Handelsblatt. „Es müssen Technologien eingesetzt werden, von denen wir bislang nur eine vage Vorstellung haben und von denen daher auch niemand sagen kann, was ihr Einsatz kosten wird.“ Es gibt bislang keine Berechnungen darüber, was die letzten 5 Prozent CO2-Vermeidung weder für Deutschland noch für andere Wirtschaftsräume kosten würden. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die letzten 5 Prozentpunkte, die mit Abstand am anstrengendsten und teuersten werden dürften, sagte Geden dem Handelsblatt.

Die Boston Consulting Group (BCG) und Prognos sind in ihrer Anfang vergangenen Jahres präsentierten Studie „Klimapfade für Deutschland“ zu folgendem Ergebnis gekommen: Während sich eine Emissionsreduktion um 80 Prozent relativ problemlos für Deutschland bewerkstelligen lässt, stößt man bereits bei 95 Prozent an Grenzen. „95 Prozent Treibhausgasreduktion wären an der Grenze des technisch Machbaren. Die Mehrinvestition zur Erreichung einer Emissionsreduktion in der Spanne von 80 bis 95 Prozent bis 2050, läge zwischen 1,5 und 2,3 Billionen Euro“, so BCG und Prognos. Um einen Wert von 95 Prozent zu erreichen, müsste bis 2050 unter anderem Folgendes erreicht sein:

  1. Vier Fünftel des Pkw-Bestandes müssen Elektroautos sein.
  2. 80 Prozent der Gebäude müssen hinsichtlich ihrer Energieeffizienz dem heutigen Neubaustandard entsprechen.
  3. Die bisher installierte Leistung von Wind- und Photovoltaik-Anlagen muss im Vergleich zu heute verdreifacht werden.
  4. 8.000 Kilometer Autobahn müssen Stromoberleitungen für Lkws erhalten.
  5. Es sind umfangreiche Importe synthetischer, klimaneutral hergestellter Kraftstoffe aus anderen Ländern mit günstigeren Bedingungen für erneuerbare Energien nötig.
  6. Rindern müssen in großem Stil Pillen verfüttert werden, die die Methan-Emission der Tiere reduzieren.

95 Prozent bedeuten faktisch eine Senkung der Emissionen in den meisten Sektoren auf null, so die BCG in ihrem Gutachten. Da es in der Industrie und auch in der Landwirtschaft immer Treibhausgas-Emissionen geben wird, die sich nicht komplett auf null reduzieren lassen, muss an anderer Stelle mehr geschehen. Dies würde dazu führen, dass der Atmosphäre CO2 entzogen und dieses unterirdisch gespeichert werden müsste. Politisch ist ein solches Verfahren in Deutschland hoch umstritten. Die Versuche der deutschen Politik, einen brauchbaren Rechtsrahmen für die unterirdische Speicherung von CO2 zu schaffen, sind bislang an massiven Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung gescheitert.

Das heißt, ein 80 Prozent Ziel ist mit entsprechenden Anstrengungen machbar. 95 Prozent CO2-Reduktion kosten rund 2 Billionen Euro mehr und 100 Prozent sind technisch und wirtschaftlich kaum zu leisten.