Die Klimastudie des BDI zeigt die Komplexität unseres Klimaziels

Vor dem Hintergrund des neuen Klimaschutzgesetztes der alten Regierung mit verschärften nationalen Klimazielen, hat der Bund der deutschen Industrie (BDI) die Firma Boston Consulting Group mit einer Fortführung der Studie aus dem Jahr 2018 „Klimafahrplan für Deutschland“ erstellen lassen. Ziel der Studie war es festzustellen, was alles geschehen muss, damit 2045 eine Treibhausgasneutralität in Deutschland erreicht werden kann. Gleichzeitig soll die Wettbewerbsfähigkeit als auch eine sozial möglichst ausgewogene Kostenverteilung angestrebt werden. Das neue Klimaschutzgesetz sieht bis 2030 eine Erhöhung des Treibhausgasminderungsziels von 55 auf 65 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Außerdem galt als neue Vorgabe Treibhausgasneutralität bis 2045 anstelle des bisher angestrebten Ziels von 80 bis 85 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2050 gegenüber 1990.

Mit diesem extrem ambitionierten Treibhausgasreduktionspfad steht Deutschland vor der größten Transformation seiner Nachkriegsgeschichte, so der BDI. Die Studie fordert auch, dass keine symbolischen Abschaltzeitpunkte oder plakative Technologieverbote vonseiten der Politik ausgesprochen werden. Es sollte ebenfalls auf teure Sofortmaßnahmen verzichtet werden, wenn diese ineffizient sind.

Wenn keine weiteren Maßnahmen ergriffen würden, würde Deutschland nach Ermittlung der Autoren bis 2030 etwa 184 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem Stand von 2019 einsparen und das wäre nur knapp halb so viel wie nötig wäre, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 auf die angestrebten 438 Millionen Tonnen zurückzuführen. Gemäß den Autoren müssen 860 Milliarden Euro ab 2022, das sind jährlich rund 100 Milliarden Euro, bis 2030 zielführend investiert werden, um die CO2-Einsparung von 65 Prozent bis 2030 zu erreichen. Bis 2045 soll dann gänzlich auf fossile Brennstoffe verzichtet werden.

Die Stahlindustrie in Deutschland muss innerhalb von 20 Jahren alle Hochöfen ersetzen. Die chemische Industrie muss sowohl zur Energieerzeugung als auch beim stofflichen Einsatz vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten. In der Zement- und Kalkindustrie ist der Einsatz der Technologie der Abscheidung und Nutzung beziehungsweise Speicherung von CO2 in entsprechenden Erdschichten unverzichtbar.

Bis 2045 muss die Sanierungsquote der Gebäude verdoppelt werden, damit der Energiebedarf deutlich sinkt. Allerdings sagt der Chef des Berliner Stromversorgungsunternehmens Gasag, dass er einen klimaneutralen Gebäudebestand in wenig mehr als 20 Jahren schon heute als einen unerfüllbaren Wunschtraum ansieht. Aktuell werden in Deutschland nur 0,6 Prozent aller Wohnungen energetisch saniert. Selbst wenn diese Zahl verdreifacht oder vervierfacht würde, würde das maximal 2,5 Prozent aller Wohnungen jährlich betreffen. In 20 Jahren wären dies maximal 50 Prozent des heutigen Gebäudebestandes. Zurzeit werden noch 50 Prozent aller Wohnungen mit Gas und 25 Prozent mit Öl beheizt. Laut Umweltbundesamt stammen bislang erst 15,6 Prozent der Energie im Bereich Wärme aus erneuerbaren Energien.

Die Transformation im Verkehrssektor erfordert laut Boston Consulting Group eine fast vollständige Erneuerung der Fahrzeugflotte, den Aufbau einer Lade- und Wasserstofftankstelleninfrastruktur und einen erheblichen Import grüner Kraftstoffe. Bei der Mehrheit der Pkw-Neuzulassungen handelt es sich um Batteriefahrzeuge. Im Güterverkehr wird ein Mix verschiedener Antriebstechnologien erwartet – Elektroantrieb für Kurz- und Mittelstrecke, Brennstoffzellen-Lkws für die Langstrecke. Der verbleibende Kraftstoffbedarf muss 2045 komplett durch grüne Kraftstoffe bedient werden, so die Studie.

Im Stromsektor ist eine Verdopplung der Erzeugungsmenge an Elektrizität im Inland erforderlich. Gemäß dem Zielpfad steigt die Netto-Stromnachfrage von 507 TWh im Jahr 2019 auf 993 TWh im Jahr 2045 und das dann nur aus Wind, Sonne und Wasser. Um dies zu erreichen, müssen 130 TWh Photovoltaikanlagen auf Dächern und 360 TWh auf Freiflächen (1,1 Prozent der Fläche Deutschlands) errichtet werden. 420 TWh Windräder müssen an Land stehen (2,2 Prozent der Fläche Deutschlands). Und bis zu 300 Terawatt Wind sollen auf See durch Windparks entstehen. Bayern ist zurzeit nicht bereit 2,2 Prozent seiner Flächen für Windräder zur Verfügung zu stellen und auch das Nachbarland Baden-Württemberg ist zögerlich. Das würde bedeuten, dass sich in den anderen Bundesländern mehr Windräder drehen oder Bayern und Baden-Württemberg mehr Flächen für Solarparks erschließen müssten.

Zudem merkt die Studie an, dass wir für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Energie eine ebenso hohe gesicherte Leistung benötigen wie heute. Dies erfordert einen erheblichen Ausbau der Speicherkapazität und flexibler, thermischer Leistung. Die Kapazität der Gaskraftwerke muss sich laut Studie verdreifachen, allerdings langfristig mit grünen Gasen und Wasserstoff befeuert werden. Deutschland muss eine riesige Wasserstoffwirtschaft aufbauen und dies mit internationalem Anschluss, denn grünen Wasserstoff in Deutschland zu erzeugen ist zu teuer.

2045 importiert Deutschland gemäß der Studie H2-PtL/PtG im Wert von 45 Milliarden Euro. 2045 braucht Deutschland etwa 59 Millionen Tonnen negative CO2-Emissonen. Doch wohin damit? Diese können durch die Speicherung von CO2, das bei der Verbrennung von Biomasse entsteht und durch das Verpressen generiert werden. Zurzeit ist das Verpressen in Deutschland in keinem Bundesland möglich und in der deutschen Politik weiter umstritten. Folglich wäre eine CO2-Transportinfrastruktur zu schaffen, um diese Mengen zu exportieren und in anderen Ländern unterirdisch zu verpressen. Des Weiteren ist ein Wasserstofftransportnetz nötig und gleichzeitig muss die heutige Stromnetzinfrastruktur verdoppelt werden. Und das alles in nur 20 Jahren.

Das ganze Gebilde funktioniert jedoch nur, wenn eine internationale CO2-Bepreisung stattfindet, so der BDI. Deshalb fordert der Verband die Bunderegierung, die EU und die Mitgliedsstaaten dazu auf, sich auf Ebene der Vereinten Nationen und der G20 für eine CO2-Bepreisung einzusetzen, zumindest für die Einführung und Verlinkung von nationalen CO2-Bepreisungssystemen.

Viele Länder schauen mit viel Skepsis auf den deutschen Weg, die Energie nur aus Wind und Sonne zu erzeugen und das bei einem relativ kurzfristigen Ausstieg aus Atom- und Kohlekraftwerken. Unsere Nachbarn im Osten (Polen) und Westen (Frankreich/Belgien) befürchten, dass wir deren Stromkapazitäten – bestehend aus Kohle und Atom – abgreifen und deshalb ihre Stromkosten steigen. Die Niederlande sehen sich auch nicht in der Lage noch mehr Gas aus der Nordsee nach Deutschland zu liefern.

Solange keine internationale Bepreisung von CO2 in vergleichbarer Höhe erreicht ist, muss nach Auffassung des BDI das bestehende System der freien Zuteilung von Zertifikaten sowie die Strompreiskompensation zum Schutz der Industrie fortgeführt werden. Dies ist erforderlich, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland zu sichern. Aber wie sollen diese Subventionen finanziert werden?

Technisch müssen in den nächsten 20 Jahren noch erhebliche Innovationsschübe erfolgen, wenn dies alles gelingen soll. Die Politik sollte auch die praktische Umsetzung nicht unterschätzen, selbst wenn das benötigte Geld da wäre. Eine neue Infrastruktur im Energiesektor entsteht nur sehr langsam, denn es braucht einen verbindlichen Plan mit begleitenden Gesetzen und den erforderlichen Baugenehmigungen.

Die deutsche Politik spricht von 65 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 beziehungsweise klimaneutral bis 2045. Vor drei Jahren waren es noch 80 bis 85 Prozent CO2- Reduktion bis 2050.

Die Konsequenzen und der erforderliche Preis bis 2030 wird in dieser Studie des BDI sehr gut beschrieben. Wenn in Deutschland eine Deindustrialisierung verhindert werden soll, muss die Politik prüfen, wie sie den Umbau der deutschen Wirtschaft unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit erreichen will. Der Ansatz fehlt zurzeit komplett. Es wird nur über Subventionen – sowohl von der Industrie als auch der Politik – gesprochen, um der alten CO2-lastigen Wirtschaft den Übergang zu erleichtern und die nicht wirtschaftlichen CO2-armen Erzeuger über Subventionen anzuschieben.

Der BDI zeigt auf welch enges Zeitfenster wir haben und welch einschneidenden Maßnahmen und Finanzen nötig wären, wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen. Diese finanzielle Lösung ist ein extrem komplexes Thema, das bisher noch in keinster Form bedacht wurde. Die in Deutschland eingeführte CO2-Abgabe wird keine dauerhafte Lösung sein. Diese belastet – wenn die CO2-Abgabe im Preis weitergegeben werden kann, entweder den Endverbraucher und treibt die Preise an und damit die Inflation oder wenn Unternehmen die Kosten nicht im Preis weitergeben können, werden sie – und damit Arbeitsplätze – aus dem Markt ausscheiden. Wenn die Politik und die Gesellschaft eine CO2-freie Welt in Deutschland bis 2045 verfolgen will, muss auch möglichst bald ein entsprechendes Konzept für ein Steuer- und Abgabensystem für diesen Zeitraum geschaffen werden.

Professor Rürup wies in einem Beitrag darauf hin, dass die Dekarbonisierung verbunden mit steigenden CO2-Preisen auch inflationstreibend wirkt. Die Inflation geht vorrangig zu Lasten der Bezieher niedriger Einkommen. Seine Forderung: “Letztlich gilt es, politisch zu entscheiden: für ein stabiles Klima oder stabile Preise. Beides gleichzeitig zu erreichen wird, vorsichtig formuliert, äußerst schwierig – vermutlich gar unmöglich“, so Professor Rürup.

Klar ist: Der Klimawandel findet statt und dennoch gilt es zu bedenken, was können wir bei einer realistischen Betrachtung dieser Tatsache wirklich technisch und wirtschaftlich schaffen?