Kommentar von Jürgen Doetsch sen.

Die Energiepreise steigen weltweit und der CO2-Preis zeigt keine Lenkungswirkung

Zurzeit spielen die Energiemärkte weltweit verrückt. Die Großhandelspreise für Elektrizität haben sich innerhalb von 12 Monaten verdreifacht. Die Heizölkosten stiegen um 53 Prozent, die Spritpreise um 26 Prozent und die Gaspreise um 450 Prozent. Es zeigt sich wieder einmal, alles hängt mit allem – und das weltweit – zusammen. Der berühmte Schmetterlingseffekt zeigt seine Wirkung. Die schnelle Erholung der Konjunktur zum Ende der Pandemie löste im fernen Osten und insbesondere in China eine extreme Energienachfrage aus. China erzeugt seinen Strom zu 62 Prozent aus Kohlekraftwerken. Chinas Führung hat wegen Sicherheitsmängeln in den Minen und aus Gründen des Klimaschutz diverse Minen im Land schließen lassen und die Energieerzeugung heruntergefahren. Die Folge: Die heimische Kohle wurde knapp und wird verstärkt aus dem Ausland beschafft. Diese Nachfrage ließ die Kohlepreise weltweit explodieren. Die Energieerzeuger in China wichen soweit wie möglich auf Gaskraftwerke zur Stromerzeugung aus.

Seither liefern Tanker Flüssiggas aus den USA, Katar oder Russland fast nur noch nach Asien, da dort die besten Preise erzielt werden. Da die Gasförderung in den Niederlanden zur Neige geht und Russland kein weiteres Gas mehr nach Westeuropa liefern kann oder will, wird der Gasvorrat auch in Europa knapp und das noch vor dem Winter. Die Gasspeicher in Europa sind zurzeit nur mit 66 Prozent gefüllt. Normalerweise sind diese um diese Jahreszeit mit 80 Prozent befüllt. In den USA werden Forderungen vonseiten der Industrie gestellt, kein Gas mehr zu exportieren, um den Winter mit einer gesicherten Energieerzeugung und zu bezahlbaren Preisen zu überstehen.

In China schafften sich viele industrielle Hersteller große Notstromaggregate an, die mit Diesel betankt werden, um den nötigen Strom zu erzeugen und so die eigene Produktion von Waren aufrechtzuerhalten. In 2021 wurden viele Werke in China aufgrund staatlicher Weisung regelmäßig vom Strom abgeschaltet, um vorrangig die Bevölkerung zu Hause mit Strom zu versorgen. Und der Winter steht vor der Tür.

Da Gas teuer wurde, laufen seit Monaten die europäischen Braunkohlekraftwerke unter Volllast. Die Betreiber preisen die hohen Kosten des CO2-Ausstoßes einfach ein und können ihren Strom trotzdem billiger anbieten als Strom aus den Gaskraftwerken. Wind- und Sonnenflaute und ein kühler Winter in Europa in diesem Jahr ließen die Erdgasvorräte in den Erdgasspeicher schrumpfen. Diese müssen vor der Wintersaison zu hohen Erdgaspreisen wieder gefüllt werden, was die Nachfrage nach Erdgas nochmals verstärkt. Die Folge ist: Hohe Erdgaspreise führen dazu, dass Kohlekraftwerke weltweit wieder stärker laufen.

Auf der anderen Seite ist Erdöl zurzeit deutlich billiger als Erdgas, mit der Folge, dass weltweit immer mehr Öl statt Gas, auch für die Stromerzeugung in den weltweiten Kraftwerken oder durch Notstromaggregate, wie zum Beispiel in China, eingesetzt wird. Aufgrund der teuren Stromerzeugung aus Kohle- und Gaskraftwerken, befindet sich der Rohölpreis in einem regelrechten Spekulations- und Kaufrausch. Das treibt die Erdölpreise weiter nach oben. Die OPEC hat bisher nicht signalisiert, dass sie bereit ist, die Produktion deutlich zu erhöhen und den Rohölpreis damit über ein erhöhtes Angebot wieder zu entlasten. Die amerikanische Schieferölproduktion (Fracking) ist noch nicht richtig in Schwung gekommen. In den vergangenen zwei Jahren waren die Rohölpreise stark verfallen, sodass sich die Schieferölproduktion in den USA nicht mehr rentierte. Bei den aktuellen Preisen sieht das wieder anders aus.

Nach Beobachtungen der Ölmarktexperten von Baker Hughes scheint die Schieferölindustrie aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. So ist die Menge der aktiven Ölbohranlagen in den vergangenen Wochen zum sechsten Mal in Folge in den USA gestiegen und hat damit den höchsten Stand seit April 2020 erreicht. Die Menge der Ölbohranlagen gilt als Frühindikator für die künftige Produktion und zeigt auf, ob und wenn ja in welchem Umfang in die Erschließung neuer Ölquellen investiert wird. Es wird allerdings noch einige Zeit dauern, bis diese Bohranlagen wieder so viel Rohöl liefern, dass eine spürbare Entlastung auf der Angebotsseite stattfindet.

Da auch der CO2-Preis in Europa und zudem seit 2021 in Deutschland noch schneller als in der EU für Energie in den nächsten Jahren weiter steigen soll, werden die Preise für Gas, Öl und Strom auch in naher Zukunft in Europa und besonders in Deutschland sehr hoch bleiben und nebenbei die Inflation anheizen. Der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft in Deutschland warnt bereits: Die doppelte Belastung aus CO2- und steigenden Energiepreisen bedeutet eine enorme Kostenbelastung und Liquiditätsentzug für energieintensive Firmen. Eine Verlagerung von Produktion, Know-how und Emissionen ins Ausland droht als unausweichliche Folge, so der VIK. Einen solchen Effekt wollte Europa und Deutschland bisher vermeiden.

Der deutsche Energiemarkt antizipiert zurzeit eine weitere Versorgungslücke, weil demnächst weitere Kohlekraftwerke in Deutschland vom Netz gehen werden, so die Welt am Sonntag. Zudem werden in 2022 sechs deutsche Atomkraftwerke, die bisher mehr Strom produzierten als alle deutschen Solaranlagen zusammen, abgeschaltet. Der Wind und der damit verbundene Netzausbau, stockt in Deutschland seit mehreren Jahren. Für die Energiepreise ist das schlecht, so die WAMS. Der Nachfrageüberhang wird laut dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) eher zunehmen. Ein rascher, massiver Ausbau neuer Gaskraftwerke könnte Linderung schaffen, so der BDI. Aber dafür brauchen die Betreiber von Gaskraftwerken Planungssicherheit.

Der BDI kommt in einer Studie der Boston Consulting Group zu dem Ergebnis, dass Deutschland bis 2030 einen Zubau von 43 Gigawatt neuer Gaskraftwerke zur Wahrung der Versorgungssicherheit in der Stromerzeugung benötigt. Das entspricht 43 großen Kohlekraftwerksblöcken. Diese Gaskraftwerke werden als reine Backup-Kapazitäten nur wenige Tage oder gar Wochen im Jahr im Einsatz sein müssen, wenn Wind und Sonne nicht ausreichend Strom liefern. Aus dem Stromverkauf lassen sich diese Gaskraftwerke nicht rechnen, so dass der Staat den Produzenten diese Kosten ausgleichen müsste, wenn keine Überwälzung auf den Strompreis stattfinden soll, so der BDI.

Besonders die Probleme des deutschen Klimaschutzgesetzes werden mit dem weltweiten Anstieg der Energiepreise offengelegt. Dieses Gesetz verpflichtet jeden deutschen Wirtschaftssektor, jahresscharf genaue Emissonshöchstmengen einzuhalten. Werden diese nicht eingehalten, verpflichtet das Gesetz die Bundesregierung die CO2-Reduktion bereits im Folgejahr mit Sofortprogrammen wieder auf Kurs zu bringen. Auch der Geschäftsführer der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur Andreas Kuhlmann fürchtet, dass weder der Verkehr noch die Industrie, Stromwirtschaft, Landwirtschaft oder Gebäudesektor diese gesetzlichen CO2-Grenzen in den Jahren bis 2025 einhalten können. Das bedeutet, dass die ohnehin deutlich steigenden Energiepreise im Weltmarkt einen weiteren Schub über den zusätzlichen CO2-Preis in Deutschland erhalten, um die Sektorenziele des deutsche Klimaschutzgesetz einzuhalten. Auch der Experte für Energie und Ressourcenökonomik an der Ruhr-Universität Bochum Andreas Löschel warnt: „Wir sollten das Klimaschutzgesetz vor diesem Hintergrund durchaus hinterfragen. Statt mit jährlichen Sofortprogrammen zu agieren, sollte die Politik zu Beginn der Legislaturperiode einen umfassenden Klimaplan vorlegen und dann nachhalten“.
Mal sehen, ob die neue Bundesregierung die Kraft findet das Klimaschutzgesetz in diese Richtung zu überarbeiten.

Die EU-Kommission hat mit dem Klimaschutzprogramm „Green Deal“ eine starke Verteuerung von CO2-Berechtigungen ausgelöst. Industriebetriebe und Kraftwerksbetreiber müssen jetzt 60 Euro pro Tonne CO2-Ausstoß zahlen und das sind fünfzehn Mal so viel wie noch vor vier Jahren. Gaskraftwerke sollten nach den Plänen der EU die Kohlekraftwerke auf Grund der niedrigeren CO2-Abgabe für Erdgas ersetzen. Allerdings ließ der weltweite Run auf Erdgas die Erdgaspreise in 2021 derart in die Höhe schießen, dass die CO2-Abgabe auf Kohle auf den Kunden weiter gewälzt werden konnte, da inklusive der CO2-Abgabe der Kohlestrom billiger war, als Strom aus Gaskraftwerken zu beziehen.

Eine moderne und gesicherte Volkswirtschaft braucht eine gesicherte und bezahlbare Energieversorgung. Den Energiemarkt isoliert, nur für Europa oder sogar nur für Deutschland zu betrachten und zu glauben, die Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas über einen europäischen oder gar speziellen deutschen CO2-Preis lenken zu können, funktioniert nicht, wie wir gerade erleben.

Deutschland setzt bei der Stromerzeugung inklusive der Wasserstoffproduktion ausschließlich auf Wind und Sonne und schaltet als einziges Land weltweit die Atomkraft 2022 und die Kohlekraft zwischen 2030 und 2038 ab. Alle Bereiche in Deutschland, ob Wärme, Mobilität, Industrie, Landwirtschaft, Handel etc., sollen zwischen 2030 und 2045 dauerhaft und ausschließlich mit grünem Strom und grünem Wasserstoff zu bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Preisen, bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit, bedient werden. Es sollte uns ernsthaft nachdenklich stimmen, dass diesem deutschen Weg kein einziges Land in der Welt folgt. Wenn unser Weg der richtige wäre, müssten uns dann nicht mehr Länder folgen?

Oder mit den Worten des BDI Präsidenten: „Ein höherer CO2-Preis allein wird es nicht richten. Und wer glaubt, dass sich angesichts der bevorstehenden Belastungen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrien mit ein paar steuerlichen Abschreibungen in klimafreundliche Investitionen sichern lässt, der ist bestenfalls naiv.“