Der Boykott von russischem Öl greift immer mehr und mischt den Weltmarkt und die Preise auf

Die russische Regierung erklärt gerne, dass sie ihr Öl weltweit verkaufen könne und immun gegen westliche Sanktionen wäre. Verkäufe nach Indien und China werden oftmals als Beispiele hierfür angeführt. Doch die bisherigen Beobachtungen zeigen, dass es anders ist. In der Woche nach Ostern sind die russischen Ölexporte um 26,4 Prozent auf 3,63 Millionen Barrel pro Tag eingebrochen. Das geht aus der Datenbank von Analysten der Wirtschaftsagentur Bloomberg hervor. Europa nimmt inzwischen deutlich weniger ab und an den Spotmärkten wird in Europa kein russisches Öl mehr verkauft. Der staatliche Pipelinemonopolist Transneft hat nun sogar die russischen Ölkonzerne aufgefordert, nur noch so viel Rohöl anzuliefern, wie zuletzt verkauft werden konnte, da die russischen Ölläger vollständig gefüllt seien. Versuche des mehrheitlich staatlich kontrollierten Ölkonzerns Rosneft 6,5 Millionen Barrel Rohöl an Spotmärkten zu verkaufen, waren gescheitert. Nicht einmal indische Raffinerien, die seit Jahresbeginn bereits 14 Millionen Barrel russisches Öl gekauft hatten (16 Millionen im gesamten Jahr 2021), griffen zu. Die Bezahlung in Rubel und Vorkasse schreckte auch die indischen Raffineriebetreiber ab. Weil russisches Öl zunehmend als toxisch gilt, ziehen sich westliche Konzerne mehr und mehr zurück. Zuletzt hatte auch der Schweizer Ölhändler Trafigura, der zuvor etwa ein Viertel allen russischen Rohöls an den Märkten veräußert hatte, einen Kaufstop zum 15. Mai 2022 verkündet. Die Energiekonzerne BP, Shell, Eni, Equinor, Esso und andere haben bekanntgegeben, kein russisches Öl mehr zu erwerben. Wladimir Putin räumte ein, sein Land müsse den Ölabsatz von Europa nach Asien umlenken.

Allerdings ist dies in der Praxis nicht ganz einfach, da die russischen Rohölpipelines überwiegend nach Europa ausgerichtet sind. Russland war bisher mit einem Fördervolumen von 11,3 Millionen Barrel am Tag weltweit – nach den USA und Saudi-Arabien – der drittgrößte Rohölproduzent. Fünf Millionen Barrel wurden als Rohöl in die Weltmärkte exportiert und zusätzlich wurden knapp 3 Millionen Barrel pro Tag an Ölprodukten wie Diesel, Benzin, Kerosin und Schweröl aus russischen Raffinerien in die Weltmärkte gebracht.

Der natürliche, geographisch über Pipelines oder auch über Schiffe schnell erreichbare und wirtschaftlich bedeutende Kunde für Russland war Europa. Im Mai wirkte nicht einmal der heftige Preisabschlag von 30 Dollar je Fass russisches Öl gegenüber der Nordseesorte Brent als nennenswerter Kaufbeschleuniger. Russland wird, laut Moskauer Institut für Energie und Finanzen, einen Teil seiner Ölproduktion stilllegen müssen. Wie Alexander Titow von diesem Institut ausführt, könne Indien russisches Rohöl nicht in unendlichen Mengen gebrauchen, da die dortigen Raffinerien das „schwere“ schwefelreiche russische Rohöl nicht überall verarbeiten könnten. Außerdem sei das Land an die Golfstaaten gebunden. Saudi Aramco, der weltgrößte Ölkonzern aus Saudi-Arabien, hat Langfristverträge und investiert Milliarden in indische Raffinerien. Ähnlich agiert Adnoc, der Ölkonzern Abu Dhabis.

Auch China bezieht Öl aus den Golfstaaten und hat wegen der Corona-Krise momentan eine geringere Ölnachfrage. Allerdings entwickelt sich China in den letzten beiden Monaten immer mehr zum größten russischen Ölabnehmer, so dass Russland immer noch neue Abnehmer für ihr Öl finden kann, wenn auch mit erheblichen Abschlägen. Zudem begibt sich Russland in eine gewisse Abhängigkeit mit China als Hauptkunde, da der Westen nachhaltig – und das auf Jahre – als Käufer wegbrechen wird. China kauft die Ware per Schiff und bleibt so unabhängiger von Russland, als Russland von China.

Saudi Aramco nutzte die Schwäche von Russland und baute seine Rohölförderung und sein Engagement in Polen aus. Warschau hat in 2021 mit 14,9 Millionen Tonnen, nach den Niederlanden mit 31,8 Millionen Tonnen und Deutschland mit 21,8 Millionen Tonnen, die größte Menge russisches Öl in Europa gekauft. Aramco erwarb 30 Prozent der Danzinger Raffinerie vom staatlich kontrollierten polnischen Ölkonzern Orlen und vereinbarte täglich 200.000 bis 337.000 Barrel saudisches Öl zu liefern. Zusammen mit Orlen, die sechs Raffinerien in Osteuropa betreibt, will die saudische Aramco ihre Präsenz in der Region weiter verstärken. Der französische Konzern Total stellt ebenfalls seine Rohölversorgung stärker auf Nahost um und hat für seine europäischen Raffinerien in Abu Dhabi Rohöl einkaufen können.

Die Total Raffinerie in Leuna will über die Häfen in Danzig und Rostock stärker auf russisches Öl verzichten. Ein Liefervertrag über Rohöl in Höhe von 47.000 bis 83.000 Barrel pro Tag zwischen dem russischen Staatsunternehmen Rosneft und dem Raffineriebetreiber Total, ist Ende März 2022 ausgelaufen und wurde nach Angaben des französischen Unternehmens nicht verlängert, wie der EID berichtete. Gemessen an der Leuna Raffinerie, fallen damit etwa zwischen 20 und 35 Prozent des Rohölbedarfs weg, sodass die Raffinerie Leuna im April 2022 zwischen 65 und 80 Prozent ihrer Auslastung geschafft haben sollte. Total versorgt seit Mai durch zusätzliche Rohöllieferungen die Raffinerie in Leuna über Danzig mit nicht russischem Öl.

Schwierig bleibt die Situation in Schwedt, die noch teilweise im Besitz der russischen Gesellschaft Rosneft ist, die dortige Versorgung aus Russland zu beenden ohne dass die Raffinerie stillsteht. Schwedt versorgt weite Teile Berlins und Brandenburg mit Fertigprodukten. Zudem ist die russische Rosneft an der Miro Raffinerie in Karlsruhe und den beiden Raffinerien in Bayern Vohburg und Neustadt beteiligt. Diesem russischen Konzern vorzuschreiben, dass er kein russisches Öl in seine deutschen Raffineriebeteiligungen verarbeiten darf, wird nur schwer rechtlich und wirtschaftlich durchzusetzen sein. Allerdings tut sich Rosneft schwer, seine Ware von seinen Raffineriestandorten im Süden und Südwesten in den deutschen Markt zu bringen. Der Osten Deutschlands ist hingegen auf die Versorgung aus Schwedt angewiesen. Schwedt anderweitig als über die Pipeline aus Russland zu versorgen, wird logistisch (eventuell über Danzig/Rostock) und rechtlich (Enteignung von Rosneft – nur wer übernimmt die Anteile?) keine leichte Aufgabe für die Bundesregierung.

Diese Fakten zeigen, die Ölmärkte sortieren ihre Versorgungsströme neu und genau dies bewirkt, dass es an den Ölbörsen aktuell immer wieder zu starke Preisbewegungen kommen wird. Die Preise für Diesel, Heizöl und Benzin schwanken an den einzelnen Tagen an den Börsen um mehrere Cent je Liter. Solche starken Preisbewegungen hat es vor dem Ukrainekonflikt nur ganz selten gegeben. Die Märkte für Rohöl und Fertigprodukte suchen ein neues Gleichgewicht bei den Versorgungsströmen in den Weltmärkten und das einzige Regulativ, um die Mengen neu zuzuordnen, ist der Preis.

Gleichzeitig steigt die Angst, dass die Weltwirtschaft auf Grund der hohen Inflationsraten in eine Rezession abrutschen könnte. Einige Länder in Asien und Afrika können die hohen Energiepreise schon nicht mehr bezahlen und stehen vor der Staatspleite. Wenn eine weltweite Rezession kommt, sinkt der Bedarf nach Energie rasch und deutlich und die Ölpreise könnten wieder fallen. Auch diese Einschätzung ließ gerade in der zweiten Junihälfte 2022, nach den Zinserhöhungen in USA und Europa, die Rohölpreise an manchen Tagen wieder um 5-8 Dollar fallen. Diese Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft zeigen, dass wir in 2022/2023 mit stark schwankenden Ölpreisen, wahrscheinlich auf sehr hohem Niveau leben müssen. Das bedeutet aber auch, dass die weltweiten Energiepreise teuer bleiben könnten.