Trotzdem sieht sich das Land als Klimavorreiter – passt das?

Wie der Spiegel berichtete, wurde in Norwegen ein neues Ölfeld mit 2,7 Milliarden Barrel Öl sowie Erdgas erschlossen. Es ist für Norwegen das drittgrößte Ölfeld aller Zeiten und hat einen Marktwert von vielen Milliarden Euro. Die Regierungschefin von Norwegen, Erna Solberg, erklärte: „Die Erdölindustrie wird für die nächsten Jahrzehnte bestehen bleiben!“ Die Welt brauche mehr Energie. Es werde also weiterhin eine Nachfrage nach norwegischem Öl und Gas geben, so die Ministerpräsidentin.

Die Firma Equinor, die ehemals Statoil hieß, ist mit Abstand Norwegens größtes Unternehmen und von immenser Bedeutung. Öl und Gas machen die Hälfte aller norwegischen Exporte aus und auch Deutschland ist ein großer Kunde. Gleichzeitig wird Norwegen oftmals als Vorbild für E-Mobilität und für grünen Strom genannt. Allerdings kann Norwegen rund 95 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft erzeugen.

Norwegen hat sich das Ziel gesetzt, seine CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Bis 2050 sollen es 80 bis 95 Prozent werden. Die Förderung des Öls soll aber nach jetziger Planung noch bis etwa 2070 laufen. Der Spiegel stellt deshalb die Frage, ob es ethisch für Norwegen zu verantworten ist, noch Jahrzehnte lang weiter Öl zu exportieren? Schließlich werden 55 Prozent davon an anderen Orten für den Betrieb von Autos und Flugzeugen verbrannt und weitere 13 Prozent für die Heizung von Gebäuden und die Stromerzeugung. Ob in Norwegen, Deutschland oder China – für das Klima ist es egal, an welchem Ort CO2 ausgestoßen wird, so der Spiegel.

Die norwegische Regierung und die Betreiberfirma argumentieren, dass das neue Ölfeld im internationalen Vergleich extrem klimaschonend gefördert wird. Der für die Anlagen notwendige Strom kommt zum größten Teil von Wasserkraftwerken an Land und nicht wie sonst von Dieselgeneratoren und Gasturbinen auf den Förderplattformen. Das sorge für einen CO2-Ausstoß von rund 0,7 Kilogramm pro Barrel, so die Ölministerin Norwegens. International läge der Wert dagegen bei 18 Kilogramm pro Barrel.

Dennoch hakte der Spiegel nach und stellte die Frage, ob man die umweltfreundliche Förderung als Argument gelten lassen könne. Die Erwiderung war: Wenn Norwegen Öl und Gas nicht aus dem Boden holen würde, dann fände sich gewiss ein anderer, der es täte – mit größeren Belastungen für die Umwelt. Und überhaupt produziert Norwegen ohnehin nur 2 Prozent des Öls und 3 Prozent des Erdgases weltweit. Der wohl entscheidende Punkt, so der Spiegel, ist aber: Norwegen ist – so die Wahrnehmung im Land – weiterhin auf die kräftig sprudelnden Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas angewiesen. Der Geldsegen hat das einst vergleichsweise arme Land von Fischern und Bauern innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der wohlhabendsten Staaten der Erde gemacht. Das neue Ölfeld, so rechnet die Regierung vor, bringt der Staatskasse insgesamt weitere 90 Milliarden Euro.

Das Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft wandert zu einem guten Teil in einen Staatsfond, der in mehr als 9.000 Unternehmen aus 73 Ländern investiert und aktuell rund 1.000 Milliarden Euro wert ist. Paradox ist: Das Parlament in Norwegen hat entschieden, dass der Fond kein Geld mehr in Firmen steckt, die mit Öl, Gas oder Kohle ihr Geld verdienen. Das hat allerdings die norwegische Regierung nicht davon abgehalten, gerade knapp 70 neue Explorationslizenzen für die eigene Öl- und Gasindustrie im Land zu erteilen, so der Spiegel. Norwegen hofft auf den nächsten großen Fund. Da Norwegen ein reicher Staat mit einem entsprechendem Sozialsystem ist, das sich über die nächsten Jahrzehnte aus Öl und Gas speist, kann man es sich dort leisten, großzügige Subventionen für Elektroautos vorzunehmen. Jedes zweite, neu zugelassene Fahrzeug in Norwegen ist inzwischen mit Strom betrieben. Auch Fähren werden elektrifiziert. Trotzdem ist der Gesamtausstoß des Landes an Treibhausgasen aktuell noch über dem Niveau des Jahres 1990. Das liegt vor allem am Ausbau der Öl- und Gasindustrie, die für ein Viertel aller norwegischen Emissionen verantwortlich sind, so der Spiegel. Damit diese mit einem hohen CO2-Ausstoß weiter expandieren kann, muss auf der anderen Seite das Elektroauto, das überwiegend aus grünem Strom, der aus Wasserkraft erzeugt wird, nach vorne gebracht werden, um die CO2-Emissionen im Verkehr zu senken. Das heißt, das Elektroauto in Norwegen soll dem norwegischen Staat helfen, die Treibhausgasemissionen endlich unter das Niveau des Jahres 1990 zu drücken, damit man gleichzeitig weiter in der Exploration auf neue Öl- und Gasfelder setzen kann, da diese wiederum einen höheren CO2-Ausstoß mit sich bringen. Dieses einfache Ziel wird von vielen Politikern in Europa übersehen, wenn Norwegen wieder einmal als E-Mobilitäts-Vorbild genannt wird.

Zudem gilt Norwegen als engagiert in internationalen Klimaverhandlungen und hat in den vergangenen Jahren große Summen in den Waldschutz in Ländern wie Indonesien investiert. Des Weiteren hat der Öl- und Gasförderer Equinor versprochen, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 40 Prozent zu senken und bis 2050 sogar klimaneutral zu werden. Dafür investiert der Konzern fünf Milliarden Euro in das Unternehmen. „Ein Ölkonzern mit Zielvorgaben für seine eigenen Emissionen und nicht für seine Produkte, ist wie ein Zigarettenhersteller, der verspricht, dass alle Mitarbeiter jetzt mit dem Rauchen aufhören und gleichzeitig die Zigarettenproduktion erhöht“, kritisiert Mark Van Baal von der Organisation Follow This, in der sich gut 5.000 kritische Aktionäre von Öl- und Gasunternehmen zusammengeschlossen haben. Die Umweltorganisation Oil Change International hat vorgerechnet, dass Norwegen der siebtgrößte CO2-Exporteur weltweit ist. Das Land exportiere zehnmal so viel Kohlendioxid in Form von Öl und Gas wie es in der Heimat ausstößt.

Der Spiegel räumt allerdings ein: Wer für welche CO2-Emissionen letztlich verantwortlich gemacht werden kann, ist sehr kompliziert. Dies ist auch einer der Gründe, warum die internationalen Klimaverhandlungen nur langsam vorankommen. Die Verträge betrachten immer nur die Menge an CO2 und anderen Gasen, die auf dem Gebiet eines bestimmten Staates ausgestoßen werden. China hat deshalb immer wieder argumentiert, dass seine Fabriken extrem viel für den Export produzieren und dadurch zusätzlichen CO2 ausstoßen. Wird ein Fernseher für den deutschen Markt in China hergestellt, tauchen die Emissionen der Fabrik in der chinesischen Statistik auf, obwohl das Gerät nach der Produktion nach Europa transportiert und verkauft wird. Würde es dagegen in Oberfranken hergestellt, dann schlüge der CO2-Ausstoß in Deutschland zu Buche, wo der Fernseher auch genutzt wird. Ein guter Teil der chinesischen Emissionen entsteht damit sozusagen im Auftrag westlicher Staaten. Und nur wer bereit ist, sich auf dieses Argument einzulassen, darf eigentlich Norwegen für seinen Transport von CO2-Emissionen in Form von Öl und Gas kritisieren, so der Spiegel.

Die Skandinavier haben aber auch noch ein anderes Geschäftsmodell für CO2 entwickelt. So soll CO2 in ehemaligen Erdgaslagerstätten unter dem Meeresboden gespeichert werden und somit die Atmosphäre nicht mehr aufheizen. In kleinerem Umfang wird diese Technologie in einem Gasfeld in Norwegen bereits seit 1996 genutzt. In Deutschland ist das Verpressen von CO2 in ehemalige Gasfelder weiterhin umstritten.