Niedrige Rohölpreise und attraktive Tankstellenpreise

Die OPEC hat in 2023 mehrfach versucht, die Rohölpreise durch Förderkürzungen zu stabilisieren und in Richtung 80 Dollar zu bringen. Allerdings wurden die vereinbarten Kürzungen nicht immer eingehalten. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Öl nicht so stark gestiegen, wie es die OPEC erwartete.

Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine stiegen die Rohölpreise auf 120 Dollar, während sie in diesem Jahr zwischen 70 und 80 Dollar pendelten. Die hohen Rohölpreise der letzten zwei Jahre haben Anreize für die Produktion außerhalb der OPEC geschaffen. Aus dem atlantischen Becken sprudelt Öl aus einer Kombination von konventionellen Bohrungen und Schieferöl mittels Frackingtechnik. Zudem sind die Ausfuhren aus Venezuela durch die Investition des amerikanischen Chevron-Konzern wieder gestiegen, wie der Economist berichtete. Die Ausfuhren des Irans sind auf dem höchsten Stand gegenüber 2018, als die USA neue Sanktionen gegen den Iran verhängten. Ein Fünftel des weltweiten Erdöls kommt inzwischen aus Ländern, die unter westlichen Embargos stehen und dieses Öl wird mit Preisnachlass an andere Länder verkauft, was wiederum auf das allgemeine Ölpreisniveau drückt.

Auf der Nachfrageseite fiel das weltweite Wirtschaftswachstum deutlich schwächer aus als es ursprünglich erwartet wurde. China erholt sich nur sehr langsam aus den Corona Lockdownmaßnahmen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dort bei 20 Prozent und der Immobilienmarkt, ein Treiber der dortigen Wirtschaft, schwankt. Zudem kauft China regelmäßig verstärkt Öl ein, wenn dieses auf den Weltmärkten günstig zu haben ist und schraubt seine Nachfrage zurück, wenn die Weltmarktpreise wieder steigen. Auch diese Taktik wirkt preisdämpfend auf den Rohölpreis.

Da sich der Rohölpreis nicht weiter nach oben entwickelte und gleichzeitig die Zinsen weltweit weiter stiegen, machte es auch für viele Ölhändler Sinn, sich von Rohölvorräten zu trennen. Wie der Economist berichtete, wurden allein in den schwimmenden Lägern (Tankschiffen) zwischen Januar und April 15 Millionen Barrel abgebaut. Die Bestände fielen von 80 Millionen Barrel im Januar auf 65 Millionen im April 2023 und dies war der niedrigste Stand seit Anfang 2020.

Die niedrigeren Rohölpreise in 2023, verbunden mit einem günstigeren Euro-Dollar-Wechselkurs, führten dazu, dass wir im 1. Halbjahr „attraktive“ Tankstellenpreise in Deutschland sahen.

In Europa beziehungsweise in Deutschland kam noch speziell hinzu, dass sich die angespannte Versorgungslage mit Diesel seit dem Fortfall der russischen Diesellieferungen im ersten Halbjahr 2023 entspannte. Lagerhalter hatten entlang der europäischen Küsten Anfang des Jahres 2023 große Dieselvorräte angelegt, weil mit einer allgemeinen Dieselknappheit gerechnet wurde. Somit stand einer – in Europa auch konjunkturell bedingten – schwachen Dieselnachfrage ein recht gutes Dieselangebot gegenüber. In der Folge sanken die Dieselpreise in Europa wesentlich stärker als der Rohölpreis. Die Raffinerien haben nach wie vor sehr attraktive Raffineriemargen, allerdings sind diese bei weitem nicht mehr auf dem hohen Niveau wie sie in 2022 waren. Aktuell spricht einiges dafür, dass wir auch im zweiten Halbjahr Tankstellenpreise auf dem Niveau der letzten Monate sehen werden.