Entwurf zum Abschalten von Ladepunkten wird zurückgezogen
Kommentar von Jürgen Doetsch sen.

In den letzten Wochen wurde immer wieder diskutiert, dass der Aufbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland zu langsam vorangeht. Derzeit sind 35.600 öffentliche Ladepunkte in Betrieb. Im November 2019 waren es 22.000. Folglich sind nur 13.000 Ladepunkte hinzugekommen. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, bis 2030 rund 1 Million öffentliche Ladepunkte haben zu wollen. Auch die Automobilbranche hat versprochen bis 2022 15.000 zusätzliche, öffentliche Ladepunkte zu schaffen. Der Ausbau geht aber auch hier nicht schnell genug voran, was von der Politik kritisch angemerkt wird. Die Autohersteller haben den Bau von E-Säulen im Wesentlichen auf ihre Händler verlagert.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnt wiederum vor einem überzogenen Tempo bei dem Ausbau der Ladeinfrastruktur. Erfolgsentscheidend sei, dass die Ladeinfrastruktur in den kommenden Jahren bedarfsgerecht und wirtschaftlich nachhaltig ausgebaut werde. Ein marktwirtschaftlicher, am Bedarf des Kunden und der Fahrzeuge ausgerichteter Ausbaupfad, senke die Wahrscheinlichkeit von Fehlinvestitionen, so der Verband weiter. Von einem wirtschaftlichen Betrieb der öffentlichen Ladepunkte sei man im Moment deutlich entfernt.

Erst wenn 550.000 vollelektrische Fahrzeuge unterwegs sind, kann der aktuell existierende Ladesäulenbestand wirtschaftlich betrieben werden. Aktuell sind es aber nur in etwa 270.000 rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge in Deutschland. Der BDEW betont zudem, dass nur 20 Prozent der Ladevorgänge unterwegs durchgeführt werden. Zurzeit stehen in Deutschland 5.200 Schnellladepunkte zur Verfügung. 30.000 Ladepunkte sind „normale“ Ladestationen mit einer Leistung von 11 bis 22 kW.

In diesem Zusammenhang hat eine Studie der Beratung Horváth & Partners bestätigt, dass 80 Prozent der Ladevorgänge an privaten E-Ladesäulen stattfinden. Neben Firmenparkplätzen zählen dazu auch die sogenannte heimischen Wallboxen, also Wandladestationen. Laut einer Studie für das Verkehrsministerium sollen bis 2030 fünf bis neun Millionen Ladepunkte in privaten Haushalten und 2,5 Millionen Ladepunkte am Arbeitsplatz entstehen.

Allerdings fehlt es auch hier wiederum an den entsprechenden Zuleitungen, so die Initiative EEBUS. „Wenn in einem Mehrfamilienhaus zwei große E-Autos laden und dann noch die Wärmepumpe anspringt, um Warmwasser zu erzeugen, fliegen die Sicherungen raus“, so das Institut.

Da auch die Energieverbände wie der BDEW davor warnen, dass bei einer starken Zunahme der E-Mobilität und von Wärmepumpen die Stromnetze bei Nachfragespitzen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, wurde kurz vor Weihnachten vom Bundeswirtschaftsministerium ein Entwurf zum „Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz“ vorgelegt.

Laut Medienberichten beinhaltete dieser Gesetzesentwurf eine „Zwangsabschaltung“ von Elektrowallboxen, wenn die Stromnetze an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. Laut EEBUS droht ein gebremster Ausbau von Ladesäulen, wenn diese nicht in das Lastenmanagement einbezogen werden. Ansonsten bestünde die Befürchtung, dass Ladesäulen nicht mehr genehmigt würden, so der Verband weiter.

“Was Spitzenglättung genannt wird, bedeutet für die Kunden leider Abschalten“, betont der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) zum gleichen Thema. Droht eine Netzüberlastung wird die Leistung der Wallboxen herunterreguliert oder komplett abgeschaltet so lange bis das Netz wieder stabil ist und die Spitzennachfrage nachgelassen hat. Wenn Verbraucher dem Netzbetreiber diesen Zugriff verwehren, müssen diese Verbraucher deutlich höhere Netzentgelte bezahlen und dies nicht nur in den Spitzenzeiten, sondern ständig, falls es nicht zu der Glättung kommt.

Die Denkfabrik Consentec merkt hierzu kritisch an, dass die erheblichen Einschränkungen der Lademöglichkeiten von fast bis zu 10 Prozent, derzeit ein Hemmnis für den Ausbau der Elektromobilität sein könnten. Dieser Verband schlägt daher vor, dass man besser zeitvariable Termine einführt, um das Verbraucherverhalten über den Strompreis zu beeinflussen. Spitzenglättungen sei eine Katastrophe, so das Startup Mobility House. Es vergleicht die Stromglättung mit Folgendem: „Das wäre, wie wenn du zwei Stunden am Tag nicht telefonieren kannst“. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert zeitabhängige Netzentgelte. Diese würden mehrere Wahlmöglichkeiten erlauben und erforderten einen geringeren Netzausbau.

Aufgrund dieser massiven Kritik ist es nicht verwunderlich, dass der geplante Gesetzesentwurf im Januar wieder zurückgezogen wurde – „überraschend“ wie mancher Markteilnehmer bemerkte. Der BDEW bedauert hingegen die Kehrtwende und meint, dass es „völlig unverständlich sei, dass der ausgewogene Vorschlag zurückgenommen wurde“. Ohne die Möglichkeit einer kurzzeitigen Anpassung der Ladeleistung muss das Verteilnetz flächendeckend zur Abfederung der Nachfragespitzen ausgebaut werden. Dies würde Milliarden-Investitionen erfordern, so die Verbandschefin des BDEW Kerstin Andreae. Dieser Ausbau ist aber nicht nur teuer, sondern auch sehr aufwändig. Es würden Jahre vergehen bis die Netze bedarfsgerecht ausgebaut wären.

Laut Verkehrsministerium wurden seit der Bezuschussung der privaten Ladesäulen mit 900 Euro 170.000 Anträge für 209.955 Ladestationen gestellt, die mit 189 Millionen Euro gefördert werden. Diese Ladesäulen werden mittelfristig als weitere Stromabnehmer ins Netz kommen. Die Zeit drängt also sich auf eine Lösung für das Problem der Spitzennachfrage zu einigen und diese Lösung so schnell wie möglich umzusetzen.