Kommt es zu Leerständen wegen handwerklicher Fehler der Politik?

Der Bundesverband Freier Tankstellen (bft), bei dem wir Mitglied sind, hatte uns im April mitgeteilt, dass zum 01.06.22 beziehungsweise zum 01.09.2022 keine Entsteuerung/Nachversteuerung der Bestände an den Tankstellen, wie es in früheren Jahren geübte Praxis war, stattfinden soll.

Wir sehen bei diesem Vorgehen erhebliche Bedenken, da

1. die Preise mit Stichtag zum 01.06.22 nicht wie gewünscht sinken werden
2. die Versorgungssicherheit nicht aufrechterhalten werden kann.

Der Hintergrund ist folgender: Spätestens ab dem 20. Mai werden die Tankkunden nur noch das Nötigste tanken. Die Bestände in den Kundenfahrzeugen sinken. Gleichzeitig müssen auch die Tankstellen dafür sorgen, ihre Bestände in den Kraftstofftanks herunterzufahren, da sie ansonsten zum 01.06.22 die teuer versteuerte – und damit unverkäufliche – Ware in ihren Tanks haben. Wenn die Tankstellen zum 01.06.22 voll sind, wird es einige Tage dauern, bis die günstiger versteuerte Ware in den Verkauf kommt. Die Preissituation an den Tankstellen wird am 01.06.22 für die Kunden ernüchternd sein, um es vorsichtig auszudrücken.

Damit dies nicht geschieht, sind die Tankstellengesellschaften gezwungen, ihre Bestände soweit es geht bis zum 31.05.22 herunterzufahren. Ab dem 01.06.22 wird es einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage geben, der auf extrem niedrige Bestände an den Tankstellen trifft. In dieser Situation wird es für einige Tage zu massiven Leerständen und Versorgungsproblemen kommen, bis der Bestand an allen Tankstellen wieder aufgefüllt werden konnte und die Nachfrage wieder etwas abnimmt. Und das vor Pfingsten! Politik und Presse werden sagen, dass die Preise an den Tankstellen wegen Pfingsten hoch bleiben. Genau dieses Problem wäre mit einer Entsteuerung der Tankstellenbestände am 01.06.22 zu lösen.

Das Problem mit den Hoftankstellen und der Dieselversorgung im August/September

Wenn es keine Entsteuerung und Nachversteuerung zum Stichtag 01.06.22 beziehungsweise 01.09.22 geben wird, kommt im August/September erneut ein Problem auf uns zu.

Die Kunden, die Tankstellenbetreiber und die Eigentümer von Hoftankstellen (Landwirtschaft, Transportgewerbe, Großbetriebe etc.) werden versuchen, ihre Tankkapazitäten bis zum 31.08.22 maximal zu füllen.

Wir werden demnach in der zweiten Augusthälfte eine erhebliche Nachfrage im deutschen Markt sehen, die in dieser Form nicht zu bewältigen sein wird. Erneut werden Produkte knapp, die Logistikketten sind am Anschlag und es wird zu massiven Leerständen kommen.

Wenn zum 01.09.22 eine Nachbesteuerung der Lagerbestände erfolgt, haben die Tankstellengesellschaften und Eigentümer von Hoftankstellen keinen Grund mehr, ihre Kapazitäten auszureizen. Dies würde zu einer Entspannung der Logistikketten und Mineralölversorgung führen, sodass die Kraftstoffe dort eingesetzt werden könnten, wo sie auch gebraucht werden (in den Tanks der Kunden, da diese noch Ende August günstig tanken möchten). Gerade die Kapazitäten der Hoftankstellen sind nicht zu unterschätzen, da immerhin 50 Prozent des deutschen Dieselabsatzes über diese Hoftankstellen läuft.

Die Logistikketten in Deutschland sind nicht dafür ausgelegt einen stark gesteigerten Kunden-, Tankstellen- und Hoftankstellenbedarf gleichzeitig zu decken, wie uns dies Ende August treffen wird, wenn die Nachversteuerung zum 01.09.22 nicht im Gesetz verankert wird. Wir würden hier von einem „perfekten Sturm“ sprechen, der die Mineralölversorgung in Deutschland trifft. Die Tkw-Verladekapazitäten werden in diesen Tagen an den Anschlag stoßen und in den Lägern und Raffinerien sind schon jetzt längere Wartezeiten bei der Beladung der Tkws abzusehen. Diese Mengen, die durch das Vortanken entstehen, können so kurzfristig gar nicht geliefert werden. Zudem ist in den Monaten Juni bis August (neben September und Oktober), der Konsum von Kraftstoffen auf dem höchsten Niveau und die Logistikketten schon in normalen Zeiten am Anschlag.

Verbale Entgleisungen und Konflikte, die sich für die Tankstellenmitarbeiter vor Ort ergeben (wegen anderen Preiserwartungen seitens der Kunden oder wegen Produktmangels), haben wir an dieser Stelle noch nicht näher beleuchtet. Es ist aber allgemein bekannt, dass Kraftstoffpreise und -versorgung sehr sensible Themen sind.

Wir möchten den Kunden die Möglichkeit geben, ab dem 01.06.22 bis zum 31.08.22 uneingeschränkt von der Energiesteuersenkung zu profitieren. So wie das Gesetz heute geplant ist, ist dies jedoch nicht möglich.

Wenn der Gesetzgeber eine unkritische und zeitnahe Umsetzung der Energiesteuersenkung haben möchte, so geht dies nur, wenn eine entsprechende Ent- bzw. Nachbesteuerung an den jeweiligen Stichtagen stattfindet. Dies war in der Vergangenheit stets geübte Praxis. Warum dies 20 Jahre nach der letzten Steuererhöhung nicht funktionieren soll, erschließt sich uns nicht, zumal wir heute aufgrund der Digitalisierung viel einfachere Möglichkeiten haben als noch vor 20 Jahren. Eine exakte Bestandserfassung an den jeweiligen Stichtagen ist vom Aufwand her kein Problem.

In der jetzigen Form wird die Energiesteuersenkung in den Zeiträumen 20.05. bis 10.06.22 sowie 20. bis 31.08.22 aus Kunden-, Tankstellen- und Versorgungssicht ein Fiasko, das mit einer einfachen Anpassung vermieden werden kann. In den Monaten Juni und August werden die Tankstellen circa 20 Prozent mehr an Ware umsetzen als in vergleichbaren Monaten und das in den jeweils ersten und letzten Tagen eines Monats. In der Folge werden diese 20 Prozent im Umsatz Mai und September fehlen. Das solche enormen Mengenbewegungen, die sich auf die letzten und ersten 5 Tage dieser vier Monate konzentrieren logistisch nicht zu lösen sind, sollte auch die Politik verstehen. Wir haben deshalb rechtzeitig den Finanzminister auf dieses Problem hingewiesen. Die Politik kann jetzt nicht mehr sagen, sie hätte von der logistischen Herausforderung nichts gewusst, wenn es Anfang Juni und Ende August zu dem beschriebenen Fiasko kommt. Zudem entgehen dem Finanzminister, wenn es zu keiner Ent- bzw. Nachversteuerung kommt, mindestens eine Milliarde Euro. Aber in der heutigen Zeit ist dies für die Politik nur noch „Peanuts“.

Anmerkung: Es wäre sinnvoller gewesen, die Steuer um 15 Cent und damit inklusive Mehrwertsteuer um 18 Cent für beide Produkte bis Jahresende (also für sieben Monate) zu senken, anstatt die Wirtschaft und die Verbraucher drei Monate bei Benzin um 36 Cent und bei Diesel um 18 Cent zu entlasten. Zudem entfiele das Argument der Regierung, dass eine Entsteuerung und eine Nachversteuerung innerhalb von drei Monaten der Verwaltung (Hauptzollamt) nicht zuzumuten sind.